BMI
Wir veröffentlichen hier ein Dokument was tatsächlich aus dem Bereich eines Ministeriums sein kann, denn Ausdrucksweise, geschilderte Abläufe und Schlussfolgerungen zeugen von profundem Fachwissen und Insiderkenntnissen. Geschildert wurde in der Presse das ein Mitarbeiter angeblich auch beurlaubt sei und keinen Zugriff mehr auf seine Dienst- e-Mails hätte.
Die führende Presse unseres Landes dreht und windet sich mit diesem Fakt umzugehen, das es eine sehr genau begründete Meinung gibt, die ein sehr kritischen Blick auf die Corona Politik der BRD Regierung wirft.
Anscheinend wurde wohl der Dienstweg eingehalten, was tatsächlich nur schon ältere Fachmänner in dem Bereich tun. Der "Stern" wertet ein berechtigtes Aufmerksam machen verächtlich ab mit den Worten:
"Seehofer-Mitarbeiter poltert auf offiziellen Kanälen gegen Corona-Maßnahmen – das hat Konsequenzen"
Warum fragt sich kein Mensch, warum die Vorgesetzten nicht sofort zur Verantwortung gezogen werden, die auf Grund dieser Analyse sofort im Zuge der Gefahrenabwehr und Schadensminimierung hätten tätig werden müssen. Hier stellt sich mir nun die Frage, wie wir Menschen, die wichtige, gefährliche und für die Allgemeinheit negative Prozesse an die Öffentlichkeit bringen helfen können. Denn von seinem Arbeitgeber hat er keinen Blumenstrauss zu erwarten. Genau an der Stelle würde ein Rettungsfond für Aussteiger helfen, die den Staats- Verwaltungsbereich verlassen, weil sie bestimmte Sachen nicht mehr unterstützen möchten.
Tucholsky warnte: „Im Übrigen gilt ja hier derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht.“
Nochmal an alle Leser!
Ich finde diese Analyse extrem wichtig, wenn auch für Uneingeweihte schwer zu lesen. Aber sie ermöglicht den " Fall Corona und Bundesregierung" umfassend zu überblicken, und argumentativ auf Corona- " Gläubige" einzuwirken.
Diesen Bericht stufe ich für jeden der sich geistig mit Corona beschäftigt als ---> "Musst Du unbedingt lesen" ein
Ein persönliches Wort noch an den bisher unbekannten Verfasser dieser Analyse. Vielen herzlichen Dank für die viele Arbeit, das nicht entmutigen lassen und den Mut den Bericht an Vorgesetzte weiterzuleiten.
Respekt !
Michael Ellerhausen ( Zaunreiter)
Wir haben für unsere Leser hier zum Download vorbereitet eine PDF mit dem Dokument. Es ist ebenso sofort im Browser sichtbar: https://vk.com/doc225314105_550687728
KM 4 – 51000/29#2
KM4 Analyse des Krisenmanagements (Kurzfassung)
Vorbemerkung: Aufgabe und Ziel von Krisenstäben und jeglichem Krisenmanagement ist es, besondere Gefahren zu erkennen und sie so lange zu bekämpfen, bis der Normalzustand wieder erreicht ist. Ein Normalzustand kann also keine Krise sein.
Zusammenfassung der Analyseergebnisse
1. Das Krisenmanagement hat in der Vergangenheit (leider wider besseren institutionellen Wissens) keine adäquaten Instrumente zur Gefahrenanalyse und –bewertung aufgebaut. Die Lageberichte, in denen alle entscheidungsrelevanten Informationen zusammen gefasst werden müssten, behandeln in der laufenden Krise bis heute nur einen kleinen Ausschnitt des drohenden Gefahrenspektrums. Auf der Basis unvollständiger und ungeeigneter Informationen in den Lagebildern ist eine Gefahreneinschätzung grundsätzlich nicht möglich. Ohne korrekt erhobene Gefahreneinschätzung kann es keine angemessene und wirksame Maßnahmenplanung geben. Das methodische Defizit wirkt sich bei jeder Transformation auf eine höhere Ebene aus; die Politik hatte bisher eine stark reduzierte Chance, die sachlich richtigen Entscheidungen zu treffen.
2. Die beobachtbaren Wirkungen und Auswirkungen von COVID-19 lassen keine ausreichende Evidenz dafür erkennen, dass es sich – bezogen auf die gesundheitlichen Auswirkungen auf die Gesamtgesellschaft – um mehr als um einen Fehlalarm handelt. Durch den neuen Virus bestand
vermutlich zu keinem Zeitpunkt eine über das Normalmaß hinausgehende Gefahr für die Bevölkerung (Vergleichsgröße ist das übliche Sterbegeschehen in DEU). Es sterben an Corona im Wesentlichen die Menschen, die statistisch dieses Jahr sterben, weil sie am Ende ihres Lebens
angekommen sind und ihr geschwächter Körper sich beliebiger zufälliger Alltagsbelastungen nicht mehr erwehren kann (darunter der etwa 150 derzeit im Umlauf befindlichen Viren). Die Gefährlichkeit von Covid-19 wurde überschätzt. (innerhalb eines Vierteljahres weltweit nicht
mehr als 250.000 Todesfälle mit Covid-19, gegenüber 1,5 Mio. Toten während der Influenzawelle 2017/18). Die Gefahr ist offenkundig nicht größer als die vieler anderer Viren. Wir haben es aller Voraussicht nach mit einem über längere Zeit unerkannt gebliebenen globalen Fehlalarm zu tun.
– Dieses Analyseergebnis ist von KM 4 auf wissenschaftliche Plausibilität überprüft worden und widerspricht im Wesentlichen nicht den vom RKI vorgelegten Daten und Risikobewertungen.
3. Dass der mutmaßliche Fehlalarm über Wochen unentdeckt blieb, hat einen wesentlichen Grund darin, dass die geltenden Rahmenvorgaben zum Handeln des Krisenstabs und des Krisenmanagement in einer Pandemie keine geeigneten Detektionsinstrumente enthalten, die automatisch einen Alarm auslösen und den sofortigen Abbruch von Maßnahmen einleiten würden, sobald sich entweder eine Pandemiewarnung als Fehlalarm herausstellte oder abzusehen ist, dass die Kollateralschäden – und darunter insbesondere die Menschenleben vernichtenden Anteile – größer zu werden drohen, als das gesundheitliche und insbesondere das tödliche Potential der betrachteten Erkrankung ausmacht.
4. Der Kollateralschaden ist inzwischen höher ist als der erkennbare Nutzen. Dieser Feststellung liegt keine Gegenüberstellung von materiellen Schäden mit Personenschäden (Menschenleben) zu Grunde! Alleine ein Vergleich von bisherigen Todesfällen durch den Virus mit Todesfällen durch die staatlich verfügten Schutzmaßnahmen (beides ohne sichere Datenbasis) belegen den Befund. Eine von Wissenschaftlern auf Plausibilität überprüfte überblicksartige Zusammenstellung gesundheitlichen Kollateralschäden (incl. Todesfälle) ist unten angefügt.
5. Der (völlig zweckfreie) Kollateralschaden der Coronakrise ist zwischenzeitlich gigantisch. Ein großer Teil dieses Schadens wird sich sogar erst in der näheren und ferneren Zukunft manifestieren. Dies kann nicht mehr verhindert, sondern nur noch begrenzt werden.
6. Kritische Infrastrukturen sind die überlebensnotwendigen Lebensadern moderner Gesellschaften. Bei den Kritischen Infrastrukturen ist in Folge der Schutzmaßnahmen die aktuelle Versorgungssicherheit nicht mehr wie gewohnt gegeben (bisher graduelle Reduktion der prinzipiellen Versorgungssicherheit, die sich z.B. in kommenden Belastungssituationen niederschlagen kann). Die Resilienz des hochkomplexen und stark interdependenten Gesamtsystems Kritischer Infrastrukturen ist gesunken. Unsere Gesellschaft lebt ab sofort mit einer gestiegenen Verletzlichkeit und höheren Ausfallrisiken von lebenswichtigen Infrastrukturen. Das kann fatale Folgen haben, falls auf dem inzwischen reduzierten Resilienzniveau von KRITIS eine wirklich gefährliche Pandemie oder eine andere Bedrohung eintreten würde.
UN-Generalsekretär António Guterres sprach vor vier Wochen ein grundlegendes Risiko an. Guterres sagte (laut einem Tagesschaubericht vom 10.4.2020): „Die Schwächen und mangelhafte Vorbereitung, die durch diese Pandemie offengelegt wurden, geben Einblicke darin, wie ein
bioterroristischer Angriff aussehen könnte - und [diese Schwächen] erhöhen möglicherweise das Risiko dafür.“ Nach unseren Analysen ist ein gravierender Mangel in DEU das Fehlen eines adäquaten Gefahrenanalyse und –bewertungssystem in Krisensituationen (s.o.).
7. Die staatlich angeordneten Schutzmaßnahmen, sowie die vielfältigen gesellschaftlichen Aktivitäten und Initiativen, die als ursprüngliche Schutzmaßnahmen den Kollateralschaden bewirken, aber inzwischen jeden Sinn verloren haben, sind größtenteils immer noch in Kraft. Es
wird dringend empfohlen, sie kurzfristig vollständig aufzuheben, um Schaden von der Bevölkerung abzuwenden – insbesondere unnötige zusätzliche Todesfälle – , und um die möglicherweise prekär werdende Lage bei den Kritischen Infrastrukturen zu stabilisieren.
8. Die Defizite und Fehlleistungen im Krisenmanagement haben in der Konsequenz zu einer Vermittlung von nicht stichhaltigen Informationen geführt und damit eine Desinformation der Bevölkerung ausgelöst. (Ein Vorwurf könnte lauten: Der Staat hat sich in der Coronakrise als einer
der größten fake-news-Produzenten erwiesen.)
Aus diesen Erkenntnissen ergibt sich:
a) Die Verhältnismäßigkeit von Eingriffen in Rechte von z.B. Bürgern ist derzeit nicht gegeben, da staatlicherseits keine angemessene Abwägung mit den Folgen durchgeführt wurde. Das BVerfG fordert eine angemessene Abwägung von Maßnahmen mit negativen Folgen (PSPP Urteil vom 5.
Mai 2020).
b) Die Lageberichte des Krisenstabs BMI-BMG und die Lagemitteilungen des Bundes an die Länder müssen daher ab sofort
- eine angemessene Gefahrenanalyse und -bewertung vornehmen.
- eine zusätzliche Abteilung mit aussagekräftige Daten über Kollateralschäden enthalten
(siehe z.B. Ausführungen in der Langfassung) - befreit werden von überflüssigen Daten und Informationen, die für die
Gefahrenbewertung nicht erforderlich sind, weil sie die Übersicht erschweren. - Es müssten Kennzahlen gebildet und vorangestellt werden.
c) Es ist unverzüglich eine angemessene Gefahrenanalyse und –bewertung durchzuführen. Anderenfalls könnte der Staat für entstandene Schäden haftbar sein.
Erläuterungen zum besseren Verständnis von Wirkzusammenhängen in einer Pandemie
Eine schwere Pandemie ist sehr selten und somit eine große Herausforderung. Die zuständigen Behörden müssen eine Krisensituation bewältigen, für die es keine Erfahrungswerte gibt. In der Abteilung KM des BMI und im BBK werden regelmäßig (zusammen mit anderen Behörden wie dem RKI, teilweise Federführung des Kooperationspartners) Notfallvorsorgepläne, Pandemiepläne und weitere organisatorische und rechtliche Rahmenbedingungen für die Bekämpfung auch von Pandemien entwickelt.
In der Vergangenheit wurden zu dem Szenario einer Pandemie zwar gelegentlich Studien erstellt, seltener große Übungen durchgeführt und noch seltener ausführlichere Risikoanalysen erhoben. Aber alle diese Arbeiten konnten in der gegenwärtigen Krise nicht viel mehr als einen groben Rahmen bieten. Denn für ein gutes, reibungslos ablaufendes Krisenmanagement bedarf es vor allem vieler Erfahrungen mit gleichartigen Krisen- und Übungssituationen und der steten Nachbesserung von Rahmenbedingungen. Im Bereich der Feuerwehr und im Rettungswesen ist das über die Jahre immer weiter optimiert worden. Im Falle einer Pandemie kann auf keiner Routine aufgebaut werden und das bedeutet, dass die meisten
Handelnden schlecht vorbereitet und überfordert sein werden, und dass dem Krisenmanagement Fehler unterlaufen werden.
Ausgangspunkt einer Krisenintervention ist immer das Vorhandensein einer besonderen Gefahrenlage.
Feststellung einer besonderen Gefahrenlage (Pandemie)
Die Feststellung einer besonderen Gefahrenlage setzt nicht zwingend voraus, dass ein Schaden bereits eingetreten ist. Im Falle einer vermuteten Pandemie wird eine Abschätzung möglicher Schäden vorgenommen, die ohne Schutzmaßnahmen voraussichtlich eintreten würden. Diese Abschätzung muss im Verlauf einer Pandemie laufend aktualisiert werden, weil sie zuerst lediglich eine plausible Vermutung ist. Wenn diese Plausibilität nicht mehr gegeben ist, oder wenn eine entgegenstehende Bewertung plausibler erscheint, oder wenn das Schadausmaß in angemessener Zeit keine außergewöhnliche Höhe erreicht, liegt keine besondere Gefahrenlage (mehr) vor.
Schutzmaßnahmen als eigene Gefährdungsquelle – Eintritt einer Multi-Gefahrenlage Schutzmaßnahmen können nicht beliebig präventiv eingesetzt werden, weil auch sie das Potential in sich tragen, außergewöhnliche Schäden zu erzeugen. Es gibt in einer Pandemie also immer mindestens zwei
Gefahren, die das Krisenmanagement im Blick haben muss: gesundheitliche Schäden durch einen Krankheitserreger, Kollateralschäden durch Nebenwirkungen der Schutzmaßnahmen oder (als Spezialfall) einen Fehlalarm.
Aufgrund dieses Dualismus muss im Verlaufe einer Pandemie die Wahrscheinlichkeit des Eintretens von außergewöhnlichen Schäden und die voraussichtliche Höhe des entstehenden Schadens für alle bestehenden Gefahren simultan laufend nachgehalten werden. Die Auswertung von Daten über das Infektionsgeschehen und die Zahl der Todesfälle reicht dazu bei weitem nicht aus. Dazu eignet sich eine systematische Multi- Gefahrenanalyse (Kriterien für eine Multi-Gefahrenanalyse enthält die Langfassung).
Bedeutung von Kollateralschäden
Eine zentrale Erkenntnis aus allen bisherigen Studien, Übungen und Risikoanalysen ist, dass bei der Bekämpfung einer Pandemie stets Kollateralschäden entstehen (als Auswirkungen von ergriffenen Schutzmaßnahmen), und dass diese Kollateralschäden einer Pandemie bedeutend größer sein können, als der durch den Krankheitserreger erreichbare Schaden.
Ein immer in Kauf zu nehmender Kollateralschaden hat dann das beste Aufwand-Nutzen-Verhältnis, wenn er nicht größer ist, als zur Erreichung eines Schutzziels mindestens erforderlich ist.
Er hat dann das maximal schlechteste Aufwand-Nutzen-Verhältnis, wenn sich die ursprüngliche Warnung vor einem unbekannten Virus am Ende als übertrieben oder im Extremfall sogar als Fehlalarm herausstellt, denn dann besteht der Gesamtschaden der Pandemie ausschließlich aus dem völlig zweckfreien Kollateralschaden.
Perspektive
Es macht wenig Sinn und man wird einer Lösung nicht näher kommen, wenn man nur versucht, die genauen Stationen des Versagens des Krisenmanagements minutiös nachzuvollziehen. Abhilfe wird nur möglich sein, wenn es eine aktive Auseinandersetzung mit jenen systemischen Effekten gibt, die in ihrer Gesamtdynamik in der Coronakrise zu einer existenziellen Schädigung des Gemeinwesens und auch der staatlichen Ordnung führen können.
Das Krisenmanagement und der gesamte Staat sind in einer prekären Situation. Es kann zwar beim genauen Hinsehen keinen vernünftigen Zweifel mehr daran geben,
• dass die Coronawarnung ein Fehlalarm war,
• dass das Krisenmanagement die Arbeit der Gefahrenabwehr suboptimal verrichtet und Fehler gemacht hat, die einen großen Schaden verursacht haben und jeden Tag weiter verursachen (einschließlich Todesopfer), an dem die Maßnahmen nicht ersatzlos gestrichen werden.
Da der Krisenstab und das gesamte Krisenmanagement einschließlich der Politik weitestgehend den rechtlichen, organisatorischen und sonstigen Rahmenvorgaben entsprechend gehandelt haben, scheint für sie zunächst jedoch wenig Anlass zu bestehen, Änderungen vorzunehmen. Alleine der in dieser Analyse herausgearbeitete Befund wird nicht ausreichen, auch dann nicht, wenn die Ergebnisse sachlich richtig sind und im Interesse des Landes und seiner Bevölkerung eine Umorientierung dringend geboten erscheint. Schon eine Abstimmung der vorliegenden Analyse mit allen tangierten Stellen der Ministerialverwaltung würde aufgrund der heterogenen Interessen und Verantwortungslage der zahlreichen zu Beteiligenden voraussichtlich bzw. erfahrungsgemäß zu einer Nivellierung (oder zum Aussortieren) ihres Inhaltes führen. Einen regelkonformen Totalschaden für unser Land zu vermeiden ist vielleicht möglich, derzeit erscheint das jedoch nur mittels kreativer Informationsstrategie derer möglich, die in der Lage wären, einen praktikablen Ausweg zu ermitteln und zu organisieren.
Eigentlich müsste jetzt eine neue Krise festgestellt und ein Krisenmanagement eingerichtet werden, um die Gefahren eines verautomatisierten und dadurch außer Kontrolle geratenen Pandemie-Krisenmanagements zu bekämpfen. Das wäre sachgerecht. Wenn die Exekutive dies nicht aus sich heraus schafft, gäbe es in einem Staatswesen mit Gewaltenteilung grundsätzlich Korrekturmöglichkeiten:
a) Die gesetzgebende Gewalt (die Parlamente von Bund und Ländern) könnten die gesetzlichen Rahmenbedingungen ändern und so die Exekutive veranlassen (zwingen), das Krisenmanagement anders als bisher zu betreiben. Die Legislative hat in den vergangenen Wochen bewiesen, dass sie
kurzfristig Beschlüsse fassen kann.
b) Die Rechtsprechung könnte eingreifen. Die Verfassungsgerichte von Bund und Ländern haben die Anordnung extremer Beschränkungen elementarer und konstitutioneller Rechte in DEU durch die Regierungschefs aufgrund einer vermeintlichen außerordentlichen Bedrohung durch einen gefährlichen Virus für rechtmäßig erachtet. Sie haben jeder grundlegenden Beschwerde, Klage und jedem Widerstand die Legalität und Legitimität abgesprochen. Bisher taten sie das, ohne eine vertiefte Plausibilitätsprüfung durchzuführen. Eine solche ist, wie ich aufgezeigt habe, möglich und würde den Irrtum entlarven.
c) Grundsätzlich könnten auch die großen elektronischen Massenmedien und die überregionalen Leitmedien ein Korrektiv bilden. Dass dies faktisch nicht geschieht, muss zwei Überlegungen provozieren: Die Rahmenbedingungen für Medien sind suboptimal, sie erschweren offenkundig faktisch die ursprünglich beabsichtigte Meinungsvielfalt in unserem Lande. Die dabei eingetretene relative Einheitlichkeit orientiert sich nicht etwa an oppositionellen Meinungen und Richtungen (das könnte theoretisch indirekt einen leicht systemdestabilisierenden Effekt haben) sondern an etablierten Politikrichtungen, insbesondere an den Intentionen von Regierungen (damit würden bestehende Regierungen indirekt stabilisiert und gegenüber einer Opposition abgeschirmt, auch in dem Fall, dass sich ein konkretes Regierungshandeln z.B. aufgrund eines sachlichen Irrtums gegen die existenziellen Interessen des Landes richtet). Die Leitmedien und vor allem die öffentlich Rechtlichen scheinen sich offenbar überwiegend als Überträger der als gemeinsam angesehenen Grundpositionierungen der dominierenden politischen Richtung auf die Bevölkerung zu sehen.
Überblick über die gesundheitlichen Auswirkungen (Schäden) der staatlicherseits verfügten Maßnahmen und Beschränkungen in der Coronakrise 2020
(Stand: 7. Mai 2020 fin)
Methodische Vorbemerkungen
Aufgeführt sind Risiken, die heute von 10 hochrangigen Experten/Wissenschaftler der jeweiligen Fachrichtungen für grundsätzlich plausibel gehalten worden sind. Die Auswahl der Experten erfolgte zufällig, das Ergebnis kann daher nicht repräsentativ sein. Wichtig für die künftige systematische Erfassung von gesundheitlichen Kollateralschäden in der Pandemie ist, mindestens Spezialisten der hier einbezogenen wissenschaftlichen Disziplinen zu konsultieren. Anders ist eine realistische Gesamt-Bestandsaufnahme nicht möglich.
1. Todesfälle
a. Aufgrund Einschränkungen der Klinikverfügbarkeiten (und Behandlungsmöglichkeiten) verschobene oder abgesagte Operationen: Über alles betrachtet hatten wir im Jahr 2018 insgesamt ca. 17 Mio vollstationärer Patienten mit OPs. Das sind im Schnitt 1,4 Mio Patienten pro Monat. Im März und April wurden 90% aller notwendiger OPs verschoben bzw. nicht durchgeführt. Das heißt 2,5 Mio Menschen wurden in Folge der Regierungsmaßnahmen nicht versorgt. Also 2,5 Mio Patienten wurden in März und April 2020 nicht operiert, obwohl dies nötig gewesen wäre. Die voraussichtliche Sterberate lässt sich nicht seriös einzuschätzen; Vermutungen von Experten gehen von Zahlen zwischen unter 5.000 und bis zu 125.000 Patienten aus, die aufgrund der verschobenen OPs versterben werden/schon verstarben.
b. Aufgrund Einschränkungen der Klinikverfügbarkeiten (und Behandlungsmöglichkeiten) verschobene oder abgesagte Folgebehandlungen von (z.B. an Krebs, Schlaganfall oder Herzinfarkt) Erkrankten: Die negativen Wirkungen von unterbrochenen Versorgungsstrukturen bei Tumorpatienten, seien es Krebsnachsorge oder auch unterbrochene Krebsvorsorgeprogramme, wie beim Brustkrebs, liegen auf der Hand, denn diese Maßnahmen haben ja ihren Nutzen in langen Studien belegt und sind auf dieser Basis eingerichtet worden. Es ist auch hier von jährlichen Behandlungszahlen in Millionenhöhe auszugehen. In einem Teil der Fälle werden die Verfügbarkeitseinschränkungen der Kliniken ebenfalls zum vorzeitigen Versterben von Patienten führen. Eine Prognose dieses Effekts ist schwierig. Experten, die sich dazu äußerten, gingen von bis zu mehreren tausend zusätzlichen Toten aus, die bereits in März und April 2020 verstarben oder noch versterben werden.
c. Bei der Versorgung von Pflegebedürftigen (in DEU insgesamt 3,5 Mio. Menschen) sinkt aufgrund von staatlich verfügten Beschränkungen das Versorgungsniveau und die Versorgungsqualität (in Pflegeeinrichtungen, bei ambulanten Pflegediensten sowie bei privat / innerfamiliär durchgeführter Pflege). Da erwiesenermaßen das gute Pflegeniveau in DEU viele Menschen vor dem vorzeitigen Versterben bewahrt
(das ist der Grund dafür, dass dafür so viel Geld aufgewendet wird), wird die im März und April 2020 erzwungene Niveauabsenkung vorzeitige Todesfällen ausgelöst haben. Bei 3,5 Mio. Pflegebedürftigen würde eine zusätzliche Todesrate von einem Zehntel Prozent zusätzliche 3.500 Tote ausmachen. Ob es mehr oder weniger sind, ist mangels genauerer Schätzungen nicht bekannt.
d. Zunahmen von Suiziden (bisher durchschn. 9.000 pro Jahr); Gründe für die Zunahme von Suiziden: langeandauernde erhebliche Beeinträchtigung aller Lebensbedingungen, die für psychisch instabile Persönlichkeiten kritisch werden können; aber auch mit zahlreichen Suiziden als Reaktion auf die wirtschaftliche Vernichtung von Existenzen ist zu rechnen; diverse Berufsgruppen, die sich ihrer Belastung durch die gesellschaftlichen und persönlichen Veränderungen und ihrer persönlichen (Mit)Verantwortung nicht gewachsen fühlen.
e. Zusätzliche Todesfälle durch Herzinfarkt und Schlaganfall. Über die letzten Jahre und Jahrzehnte wurden integrierte Konzepte entwickelt, die
erfolgreich die Morbidität und Mortalität beeinflusst haben und darauf beruhen, dass möglichst frühzeitig (im Krankheitsverlauf), möglichst rasch (Zeit bis zur Versorgung) und möglichst kompetent eine Versorgung erfolgt. Diese intersektoralen/-disziplinären Ketten sind in vielfacher Weise geschädigt (ambulante Versorgung, Ressourcenentzug) und leiden auch maximal darunter, dass bedingt durch einseitige und übertriebene Informationspolitik die Betroffenen unberechtigter Weise Corona mehr als diese Erkrankungen fürchten und Warnzeichen unterdrücken und auch befürchten mit diesen Erkrankungen in der derzeitigen Corona-Fixierung im Krankenhaus nicht gut behandelt zu werden. In Konsequenz suchen derzeit viele Betroffene nicht/zu spät den Arzt auf, was bei diesen Erkrankungen erhöhte Morbidität, verschlechterte Rehabilitation und erhöhte Mortalität bedeutet.
2. sonstige gesundheitliche Schäden (verbunden mit Leid der Betroffenen und hohem Kosteneffekt für die sozialen Sicherungssysteme, das Gesundheitssystem und den Arbeitsmarkt)
a) besonders in ihren Kontakten reduzierte alte/pflegebedürftige Menschen sind von den Maßnahmen betroffen und leiden vielfach stark unter ihnen. Teils beeinträchtigen die getroffenen Maßnahmen (Grenzschließungen, Quarantäneregelungen, Kontaktverbote, etc.) die schon vorher kritische ambulante/stationäre Betreuungssituation negativ (damit auch die optimale Versorgung in Bezug auf Corona)
b) behandlungsbedürftige (schwerere) Psychosen, Neurosen (Ängste, Zwangsstörungen...) aufgrund von langeandauernde erhebliche Beeinträchtigung aller Lebensbedingungen, die für psychisch instabile Persönlichkeiten Krankheitszustände auslösen werden; es sind langjährige medizinische Behandlungen und Rehabilitationsleistungen zur Kompensation dieser Beeinträchtigungen nötig, es kommt zu gesundheitsbedingten Arbeitsausfällen. 1 bis 2% der deutschen Gesamtbevölkerung erleben mindestens einmal im Leben eine Psychose. Wenn eine Disposition oder Anfälligkeit vorliegt, besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass sich dies unter den Rahmenbedingungen der Coronakrise manifestiert.
c) mehr Streitigkeiten und Körperverletzungen in Folge von starken Kontaktbegrenzungen und Kontaktverbote; Häusliche Gewalt, Kindesmissbrauch
d) verbreitete Kommunikationsstörungen (durch psychische Effekte, s.o., und auch z.B. durch den Zwang zur Tragen von Gesichtsmasken, durch die Gestik und Mimik als Kommunikationsmittel stark eingeschränkt sind (führt zu Missverständnissen, Misstrauen, L)
b) (abhängig von der wirtschaftlichen/volkswirtschaftlichen Entwicklung:) Verlust an Lebenserwartung. Dies dürfte langfristig zu einem größeren Schaden der Krise werden. Seit den 50er Jahren hat DEU aufgrund positiver volkswirtschaftlicher Entwicklung eine starke Erhöhung der Lebenserwartung realisiert (um 13 bis 14 Jahre längere durchschnittliche Lebenszeit). Das permanent gestiegene Wohlstandsniveau ermöglichte u.a. zunehmend aufwendige Gesundheitsvorsorge und Pflege. Bei stark negativer wirtschaftlicher Entwicklung und einer entsprechenden Reduktion des Wohlstandsniveaus geht die Entwicklung in die entgegen gesetzte Richtung: die Lebenserwartung wird sinken. (Das RKI hat nachgewiesen, dass hohe Arbeitslosigkeit die Lebenserwartung senkt.) Bei über 80 Mio. Einwohnern kann durch staatliche Schutzmaßnahmen (nicht durch den Virus) ein entsprechend hohes Volumen an Lebensjahren der Bevölkerung vernichtet worden sein.
Den meisten o.g. Effekten ist gemeinsam, dass es auch nach Aufhebung der Beschränkungen sehr lange dauern wird, bis diese Maßnahmen und Behandlungen wieder auf Vorniveau laufen, da hier alle ineinandergreifenden Glieder wieder funktionsfähig sein müssen, die Ressourcen wieder (rück-)alloziert werden müssen und auch das Vertrauen der Patienten wiederhergestellt werden muss. Im Übrigen kann es teilweise gegenläufige, auf den ersten Blick paradoxe Reaktionen, gebenDie Schädigungsphase wird daher voraussichtlich wesentlich länger andauern als die eigentliche Unterbrechung. Bei einer künftig verkürzten Lebenserwartung setzt der Schaden sogar erst in der Zukunft ein.
Da theoretisch, zumindest partiell, auch mit gegenläufigen Effekten gerechnet werden muss – also mit auf den ersten Blick paradoxen Reaktionen – , ist von genaueren zahlenmäßigen Schätzungen von zu erwartenden Schadfällen abgesehen worden. Mit den genannten Zahlen werden Größendimensionen aufgezeigt.
Schlussbemerkungen
Es gibt zwei bedeutende Gründe dafür, dass diese Informationen ohne vorherige Konsultation anderer zuständiger Stellen direkt versendet werden:
1. Es ist Gefahr im Verzug! Durch vermeintliche Schutzmaßnahmen entstehen im Moment jeden Tag weitere schwere Schäden, materielle und gesundheitliche bis hin zu einer großen Zahl von vermeidbaren Todesfällen. Diese Todesfälle werden durch das Agieren des Krisenmanagements
ausgelöst und sind von diesem zu verantworten sobald das Wissen über die in der hiermit übermittelten Analyse behandelten Sachverhalte vorliegt – auch von dem Absender dieser Informationen, der Teil des Krisenmanagements ist. Abhilfe ist nur möglich, wenn das vorhandene Wissen weitergegeben und zur Kenntnis genommen wird. Alle Möglichkeiten vorgelagerter Intervention wurden vom Absender ausgeschöpft.
2. Angesichts des sachlichen Befunds der vorliegenden Analyse und der dazu im Kontrast stehenden Entscheidungen der Politik, kann bei geschädigten Außenstehenden möglicherweise die Befürchtung aufkommen, dass das bestimmende Schutzziel des nationalen Krisenmanagements
nicht mehr die Sicherheit und Gesundheit der Bevölkerung ist, sondern die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz von Regierungsparteien und Regierungsmitgliedern. Aus derartigen Wahrnehmungen, die nicht per se irrational sind, kann in einem auf Zusammenhalt angelegten Gemeinwesen eine ungünstige Dynamik erwachsen, die vor allem mit rationalen Folgeentscheidungen durch Krisenmanagement und Politik – auf der Basis vollständiger Analysen – gut begrenzt werden kann.
Coronakrise 2020 aus Sicht des Schutzes Kritischer Infrastrukturen
Auswertung der bisherigen Bewältigungsstrategie und Handlungsempfehlungen
Folgende Prämissen liegen meiner Arbeit zu Grunde:
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Handlungsleitend und Grundlage von Entscheidungen sollten wahrheitsgemäße, fundierte Sachverhaltsbeschreibungen sein.
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Das Handeln von verantwortlichen Menschen sollte rational sein
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Die in demokratischen Wahlen bestimmten Regierungen (Exekutive) auf den Ebenen Bund, Land und Kommune, haben als höchstes Ziel, die materiellen und ideellen Interessen der Bevölkerung zu wahren, zu schützen, zu garantieren.
Die erst wenige Wochen alte Coronakrise dürfte zu den größten Herausforderungen gehören, mit denen unser Land es je zu tun hatte. Die Krisenstäbe, und das Krisenmanagement als Ganzes, leisten mit hohem persönlichem Einsatz eine extrem wichtige und zugleich die schwierigste Arbeit, die man sich vorstellen kann. Das Krisenmanagement entscheidet faktisch über Leben und Tod. Es bestimmt mit seinen Entscheidungen, wem unsere Gesellschaft eine Überlebenschance gibt, und wen sie sterben lässt. Jeden Tag aufs Neue. Für wen werden welche Behandlungsmöglichkeiten reserviert und wem wird die Behandlung wie z.B. eine geplante wichtige OP versagt. Weitere Werte unserer Gesellschaft sind bedroht, materielle (zu denen die Gesundheit gehört) wie ideelle. Auch ein Gemeinwesen kann „sterben“.
Entscheidungen zu treffen ist unvermeidbar. Ich möchte mit meiner Arbeit einen Beitrag dazu leisten, dass die Abwägungsprozesse so professionell wie möglich erfolgen können.
1. Einführung
1.1 Aufgaben und Arbeitsweise des Referats KM 4:
Referat KM 4 hat den Auftrag (Anlage 1), sich eine eigene Bewertungskompetenz zum KRITIS-Schutz aufzubauen und auf dieser Basis Stellungnahmen eigeninitiativ und in Beteiligungsverfahren abzugeben. Dies ist eine solche Stellungnahme.
KM 4 soll weiterhin auf die Konsistenz des KRITIS-Schutzes, die sich vor allem wegen vielfacher Interdependenzen der Sektoren ergeben, hinwirken. Das ist ein Schwerpunkt der vorliegenden Ausarbeitung. Für entsprechende Konzepte und Strategien hat, solange nicht ausschließlich IT-Belange berührt sind, KM 4 im Hause die Federführung und arbeitet eng zusammen mit: den Bundesressorts, den Bundesländern, der EU, KRITIS-Betreibern, Verbänden sowie sonstigen betroffenen Institutionen, und kümmert sich um supra- und internationale Angelegenheiten. KM 4 bedient sich u.a. der Zuarbeit des BBKs, über das KM 4 zu allen Angelegenheiten im KRITIS-Kontext die Fachaufsicht ausübt. Für die Erstellung dieses Berichts wurden vielfältige Kontakte zu den genannten Stellen aktiviert. Der Gesamttext ist jedoch nicht abstimmt, sondern wird als eigenständige Expertise mit Empfehlungen vorgelegt.
1.2 Warum diese Auswertung?
Große Katastrophen wie die einer Pandemie treten sehr selten ein. Die Behörden, die für die Bewältigung von Krisen zuständig sind, üben zwar regelmäßig verschiedene Gefährdungsszenarien, unter anderem auch den Fall einer Pandemie, aber sie können alleine dadurch keine ausreichende Erfahrung sammeln, um in einer real eintretenden Lage routiniert agieren zu können. In der akuten Krise nutzen sie bestehende Strukturen, Prozesse und im Vorhinein (teils gesetzlich) festgelegte Verfahren, die in der Vergangenheit nach jeder der wenigen Übungen optimiert wurden. Der Rest wird improvisiert.
Die aktuelle Coronakrise zeichnet sich durch eine doppelte Gefährdungslage für unsere Gesellschaft und ihre Kritischen Infrastrukturen aus:
Die beiden Gefahrenlagen gehen ohne zeitliche Unterbrechung in einander über. Für eine ausführliche und systematische Auswertung des bisherigen Krisenmanagements haben die operativ darin agierenden Organisationseinheiten und Beschäftigten daher keine Gelegenheit und Zeit. Alleine dieser Sachverhalt schafft neue Risiken und Gefahren. Der hier vorgelegte Bericht soll Abhilfe schaffen. Er betrachtet die Lage aus der Perspektive des strategischen Schutzes Kritischer Infrastrukturen.
Es handelt sich ausdrücklich nicht um ein Produkt für die Öffentlichkeitsarbeit, sondern um einen internen Bericht, der keinen anderen Zweck verfolgt, als einen fachlich fundierten Impuls zur Optimierung des Krisenmanagements und zur Maßnahmenplanung zu leisten. Dieser Bericht ist schonungslos offen – aufgrund seiner Dringlichkeit musste darauf verzichtet werden, die Inhalte in schönere Worte zu verpacken. Die Leser mögen den direkten Stil nachsehen und sich vor allem des inhaltlichen Kerns dieser Arbeit bedienen.
Sofern interne Arbeitsprozess reflektiert werden, geschieht das ausschließlich unter streng fachlichen Aspekten.
1.3 Wen und was meine ich mit „Krisenmanagement“ in diesem Bericht?
In technisch-organisatorischer Hinsicht besteht das Krisenmanagement aus den professionellen Lagedienste und Krisenstäbe sowie die ihnen zuarbeitenden Stellen – jeweils beim Bund und in den Bundesländern. Die wichtigsten und auswirkungsstärksten Entscheidungen werden auf der Ebene von Behördenleitungen und der politischen Leitung der Ministerien getroffen. Daher gehören auch diese Akteure zum Krisenmanagement. Die erste Gruppe bildet das operative Krisenmanagement, die zweite das strategische.
Die Beziehungen dieser beiden System-Komponenten untereinander müssen untersucht und, wie sich zeigt, verbessert werden. Nicht nur zur Verbesserung der Ausgangslage in zukünftigen Lagen, sondern – ganz besonders dringend – noch jetzt, mitten in der Corona-Krise. Suboptimale Verfahren im Zusammenspiel von operativem und strategischem Krisenmanagement können zu schwerwiegenden Fehlleistungen führen und für unsere Gesellschaft ruinöse Schäden auslösen. Solche, sich derzeit abzeichnende Schäden stehen nicht mehr im Entferntesten mit den möglichen gesellschaftlichen Schäden durch den Covid-19 Virus in einem annehmbaren Verhältnis, sie werde diese um ein Vielfaches übertreffen.
1.4 Der Schutz Kritischer Infrastrukturen
Beim Schutz Kritischer Infrastrukturen geht es außerhalb von Krisenzeiten – also fast immer – um Maßnahmen, mit denen eine Gesellschaft sich vor möglichen Gefahren präventiv schützen will, oder wie beim Eintreten einer Gefahr, der Schaden möglichst gering gehalten werden soll. Um diese Ziele zu erreichen wird versucht, auf der Basis vorheriger Gefährdungs- und Risikoanalysen, ein höheres Schutzniveau Kritischer Infrastrukturen aufzubauen und/oder die gesellschaftliche (System-)Resilienz so zu erhöhen, dass das gesellschaftliche Gesamtsystem – einschließlich seiner Kritischen Infrastrukturen – weniger anfällig und insgesamt weniger verletzlich durch eine Störung oder auch den Ausfall einzelner Kritischer Infrastrukturen ist.
Der Schutz Kritischer Infrastrukturen ist aus verschiedenen Gründen eine anspruchsvolle
Aufgabe:
-
Es muss mit einer sehr großen Zahl potentieller Gefahren umgegangen werden, deren Eintritt zwar in den meisten Fällen (zu denen Szenarien gebildet werden können) relativ klein ist, die jedoch trotz geringer Wahrscheinlichkeit grundsätzlich jederzeit eintreten können. Also auch mit einem Schaden, der statistisch nur alle 100.000 Jahre eintritt, könnten wir schon morgen konfrontiert sein.
-
Die Kritischen Infrastrukturen moderner und erfolgreicher Gesellschaften sind hochkomplexe Systeme von großer Interdependenz ihrer Teilfunktionen. Ein schwerwiegendes Problem in einem einzigen Teilsystem kann zu einem existenziellen Problem des gesamten Clusters Kritischer Infrastrukturen führen (besonders anschaulich im Szenario des Strom-Blackouts oder beim Ausfall des Internets).
-
Die für den Schutz Kritischer Infrastrukturen einsetzten Ressourcen sind naturgemäß begrenzt, der Gegenwert für Aufwendungen ist nicht sichtbar. Sichtbar und erfahrbar wird jedoch ein Schaden, der eintritt, wenn der Schutz vernachlässigt wurde. Die Entscheidung für oder gegen zusätzliche Schutzmaßnahmen erfolgen meist aus Zielkonflikten heraus (z.B.: Preis des betroffenen Produktes oder Dienstleistung soll/muss gering sein, entgegengesetzte Interessen werden als prioritär angesehen, etc.).
Aufgrund dieser Besonderheiten kann sich auch die deutsche Gesellschaft nicht auf jede Eventualität vorbereiten, es bleiben stets Restrisiken. Restrisiken sind Risiken, auf die wir uns nicht vorbereitet haben und auch nicht vorbereiten werden – z.B. weil das nicht möglich ist, oder weil es nicht verhältnismäßig erscheint. Die Einschätzung der Verhältnismäßigkeit nimmt die Gesellschaft explizit vor (indem die vom Volk gewählten Politiker ihrer Einschätzung gemäß handeln oder ausdrücklich nicht handeln) oder implizit (indem keine Initiative erfolgt, sich handlungsorientiert mit bestimmten Risiken auseinanderzusetzen).
Dass Restrisiken verbleiben, ist weder gut noch schlecht, es ist unvermeidbar. Es lohnt nicht, damit zu hadern.
Gerade weil es ohnehin immer Restrisiken geben wird, kommt es sehr darauf an, die für den KRITIS-Schutz verfügbaren Ressourcen effektiv und effizient einzusetzen, und vor allem: bei der Einschätzung von Gefahren ganz besonders sorgfältig zu arbeiten. Dieses Motiv ist der rote Faden durch dieses Papier.
1.5 Referat KM4 als Ressource bei der Krisenbewältigung
In der Krise hat der Schutz Kritischer Infrastrukturen zwei Hauptaufgaben. Die eine besteht darin, den Schutz Kritischer Infrastrukturen operativ zu unterstützen (Einbringen der eigenen Expertise und Netzwerke ins Krisenmanagement, Monitoring des Status Quo‘s Kritischer Infrastrukturen, methodische Beratung). Die andere, die strategische Aufgabe der KRITIS-Schützer besteht in der Krisensituation darin, die Auswirkungen der jeweiligen Krise auf das generelle Sicherheitsniveau Kritischer Infrastrukturen und auf das Resilienzniveau unserer Gesellschaft zu analysieren und zu bewerten, und in das Krisenmanagement einfließen zu lassen. Diese strategische Perspektive wird in diesem Papier behandelt
Wie waren das BMI (und die BReg) auf die Krisensituation vorbereitet?
Eine Pandemie wurde in der Vergangenheit mehrfach durch Bundesbehörden geübt und es gibt zahlreiche Empfehlungen für das Krisenmanagement in einer Pandemie, die sich einerseits aus den Erfahrungen mit den Übungen speisen, aber auch Ergebnis von Expertisen sind, die in den letzten Jahren im BMI mit seinen nachgeordneten Behörden unter Einbeziehung weiterer Fachleute (u.a. des RKI) erarbeitet wurden. In diesem Kapitel werden zunächst grundlegende Vorarbeiten ausgewertet und anschließend die Lükex-Übung 2007 und die Risikoanalyse aus 2012, den die BReg 2013 dem Parlament vorgelegte.
2.1 Hinweise und Warnungen in früheren Arbeiten zum Bevölkerungsschutz
Dem BMI war in einer Expertise der im eigenen Geschäftsbereich angesiedelten Schutzkommission (zwischenzeitlich aufgelöst) bereits 2006 mitgeteilt worden, dass in einer Virus-Pandemie von den Schutzmaßnahmen eine größere Gefahr für die Bevölkerung ausgehen kann, als durch die Erkrankung selbst. Das war noch nicht einmal auf eine Wirtschaftskrise gemünzt, sondern explizit auf Kritische Infrastrukturen.
Zitat:„In diesem Zusammenhang wird auch die Planung von Maßnahmen zur Abschwächung von Kollateraleffekten auf die Infrastruktur dringend empfohlen, da hierdurch (etwa durch Ausfälle des Transports, der Lebensmittel- oder Energieversorgung) eine größere Gefährdung der Bevölkerung ausgehen kann als durch die Influenza selbst.“
Quelle 25.September 2006 Zwischenbericht: Schutz der Bevölkerung vor neu auftretenden Influenza-Viren, Schutzkommission beim Bundesminister des Innern, Arbeitsgruppe biologische Gefahren https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/Schuko/Teilbericht_Influenza_05a.pdf?__blob=publicationFile
Dass die Pandemieplanung darauf ausgerichtet sein muss, die Gefährlichkeit sorgfältig abzuschätzen und mit den Gefahren, die von Schutzmaßnahmen ausgehen können abzugleichen, ergibt sich u.a. aus einer zweiten Aussage der gleichen Expertise. Diese Empfehlung wurde nicht ausreichend beachtet.
Zitat: „Zuvorderst erforderlich ist eine Modifikation der Pandemieplanung unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich Influenza-Pandemieviren in ihrer Gefährlichkeit (Pathogenität) erheblich unterscheiden. Für ein Worst-case-Szenario nach dem Vorbild der „Spanischen Grippe“ von 1918 existieren bisher keine adäquaten Planungen.“
Quelle:25. September 2006 Zwischenbericht: Schutz der Bevölkerung vor neu auftretenden Influenza-Viren, Schutzkommission beim Bundesminister des Innern, Arbeitsgruppe biologische Gefahren https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/Schuko/Teilbericht_Influenza_05a.pdf?__blob=publicationFile
Für den Fall, dass die von Bevölkerungsschutzbehörden bereits seit Jahren erwartete Pandemie ausbrechen würde, hätten u.a. präventiv spezielle Schwerpunktkliniken eingerichtet werden sollen. Diese Empfehlung wurde offenbar nicht umgesetzt. Wir erleben heute in fataler Weise die Auswirkungen davon, dass man an dieser Stelle meinte sparen zu müssen. Die Zahl der Krankenhäuser ist in DEU in den letzten Jahren um 20 Prozent gesunken.
Zitat: „Die Umsetzung der im Nationalen Pandemieplan empfohlenen Maßnahmen kommt nach Ansicht der Arbeitsgruppe auf Länderebene teilweise zu langsam voran und ist nicht vollständig. Nur wenige Bundesländer haben ihre Pandemiepläne weitgehend fertig gestellt. Die dringend empfohlene Einrichtung von Schwerpunktklinken wurde aus Kostengründen kaum realisiert. Auch die Beschaffung von erforderlicher Ausstattung sowie Ausbildung und Übung sind auf der operativen Ebene nicht genügend realisiert. Wir empfehlen daher, die Pandemiepläne der Länder eilig fertig zu stellen und die Vorgaben des Nationalen Pandemieplanes umzusetzen.“
Quelle:25.September 2006 Zwischenbericht: Schutz der Bevölkerung vor neu auftretenden Influenza-Viren, Schutzkommission beim Bundesminister des Innern, Arbeitsgruppe biologische Gefahren https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/Schuko/Teilbericht_Influenza_05a.pdf?__blob=publicationFile
Nicht einmal die Mitarbeiter des Krisenstabs wurden in der Coronakrise 2020 systematisch gegen alle auch nur entfernt ähnlichen Erkrankungen geimpft. Auch das war eine empfohlene Maßnahme des gleichen Schutzkommission-Berichts. Zwar kann mit so einer Maßnahme bestenfalls eine Teilimmunität erreicht werden, aber auch die könnte möglicherweise für einen betroffenen Mitarbeiter über Leben und Tod entscheiden – und für den Dienstherrn die Verfügbarkeit oder nicht-Verfügbarkeit eines für das Krisenmanagement dringend benötigten Personalressource bedeuten.
Zitat:
„Da bei einer eventuellen Anpassung des gegenwärtig grassierenden Vogelgrippevirus H5N1 an den Menschen eine besonders schwere Pandemie zu erwarten ist, empfiehlt die Arbeitsgruppe die umgehende Bestellung einer geringen Menge humanen Impfstoffs gegen H5N1 (ca. 2-4 Mio. Dosen), um ggf. für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur unverzichtbare Personen schützen zu können. Auch bei einem eventuellen genetischen Drift der H5N1 Variante Typ Asia wird dieser Impfstoff wahrscheinlich zumindest eine Teilimmunität verleihen.“
Quelle: 25. September 2006 Zwischenbericht: Schutz der Bevölkerung vor neu auftretenden Influenza-Viren, Schutzkommission beim Bundesminister des Innern, Arbeitsgruppe biologische Gefahren https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/Schuko/Teilbericht_Influenza_05a.pdf?__blob=publicationFile
In einer anderen Stellungnahme der Schutzkommission (zu Ebola, aus 2014) wurde darauf hingewiesen, dass von wirksamen Maßnahmen zum Schutz vor epidemischen Krankheiten Gefahren für unsere Gesellschaft ausgehen, die beachtet werden müssen. Auch hier werden ausdrücklich die Kritischen Infrastrukturen adressiert, sowie wirtschaftliche Risiken, die in DEU (im Gegensatz zu anderen OECD-Ländern wie z.B. die USA) nicht als KRITIS behandelt werden. - Dieser Aspekt sollte bei der Weiterentwicklung der nationalen KRITIS-Strategie Deutschlands unbedingt einbezogen werden.
Zitat: „Im Extremfall können irrationale Ängste dazu führen, dass Teile der Bevölkerung jeden Kontakt mit Fremden meiden und sich von vermeintlich gefährlichen Ansammlungen fernhalten. In der Folge sind Arbeitsausfälle und – wenn kritische Dienste, Versorgung oder Infrastruktur betroffen sind – auch Störungen des öffentlichen Lebens in Betracht zu ziehen. Aus diesen Gründen könnten einzelne Ebola-Fälle, obgleich sie in Deutschland für das Gesundheitssystem gut beherrschbar wären, mit erheblichen sozialen und wirtschaftlichen Risiken verbunden sein.“ (letzte Hervorhebung wie im Original)
Quelle: 15Oktober 2014, STELLUNGNAHME der Schutzkommission beim Bundesministers des Innern, Die Ebola-Epidemie in Westafrika: Gefährdungspotenzial und Handlungsempfehlungen, Seiten 5-6 https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/Schuko/Stellungnahme_Ebola.pdf?__blob=publicationFile
In der gegenwärtigen Krise wurde vielfach das Agieren anderer Staaten als Vorbild oder Muster herangezogen, obwohl wesentliche Rahmenbedingungen nicht vergleichbar sind. DEU verfügt über eine sehr viel bessere Gesundheitsinfrastruktur als die meisten anderen Länder und hat insbesondere höhere Behandlungskapazitäten für hoch ansteckende, lebensbedrohliche Erkrankungen als jeder andere Industriestaat. Auch die Datenlage, die für die Ermittlung des Gefährdungspotentials wichtig ist, ist in DEU vergleichsweise umfangreich und detailliert.
Zitat: „Die Behandlungskapazitäten für hoch ansteckende, lebensbedrohliche Erkrankungen sind höher als in jedem anderen Industriestaat.“
Quelle: 15. Oktober 2014, STELLUNGNAHME der Schutzkommission beim Bundesministers des Innern, Die Ebola-Epidemie in Westafrika: Gefährdungspotenzial und Handlungsempfehlungen, Seite 6 https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/Schuko/Stellungnahme_Ebola.pdf?__blob=publicationFile
Die Schutzkommission hatte 2014 ausdrücklich empfohlen, im Krisenfall ein wissenschaftlich begründetes, optimiertes Sicherheitskonzept zu erstellen.
Zitat:„13. Erstellung eines wissenschaftlich begründeten, optimierten Sicherheitskonzeptes für in das Epidemiegebiet entsandte Helfer (Infektionsschutz unter Feldbedingungen, ärztliche Betreuung vor Ort, Rückholung im Infektionsfall usw.). Dies ist die einzige effektive Maßnahme, mit der präventiv der Import von Ebola-Infektionen verhindert werden kann.“
Quelle: 15. Oktober 2014, STELLUNGNAHME der Schutzkommission beim Bundesministers des Innern, Die Ebola-Epidemie in Westafrika: Gefährdungspotenzial und Handlungsempfehlungen, Seite 8 https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/Schuko/Stellungnahme_Ebola.pdf?__blob=publicationFile
Ein Sicherheitskonzept erfüllt nicht alleine dadurch die wissenschaftliche Begründetheit, dass Wissenschaftler einbezogen wurden. Denn die Wissenschaft als Gesamtkonzept zeichnet sich vielfach durch heterogene Theorienbildung, Meinungen und Einschätzungen von Wissenschaftlern aus. Das bedeutet einerseits, dass man für nahezu jede Aussage eine bestätigende wissenschaftliche Meinungs-Aussage (Expertise) erhalten kann, aus einer Meinung von Wissenschaftlern also kein Anspruch auf Wahrheit ableitbar ist. Von größtmöglicher Wahrheit kann man alleine bei Aussagen ausgehen, zu denen es einen vollständigen Konsens gibt, weil sie bewiesen worden sind, und sich dieser Beweis jederzeit überprüfen lässt.
Bei präventiven Maßnahmen ist es sinnvoll, mögliche Risiken nach folgender Definition zu beschreiben:
Zitat: „Im Rahmen einer Risikobewertung bedeutet der Begriff „Risiko“ das Potenzial eines Ereignisses, die öffentliche Gesundheit zu beeinträchtigen, basierend auf der Wahrscheinlichkeit seines Eintretens und dem Ausmaß seiner Auswirkungen.“
Quelle: Oktober 2019, RKI: RAHMENKONZEPT MIT HINWEISEN FÜR MEDIZINISCHES FACHPERSONAL UND DEN ÖFFENTLICHEN GESUNDHEITSDIENST IN DEUTSCHLAND, Epidemisch bedeutsame Lagen erkennen, bewerten und gemeinsam erfolgreich bewältigen, Seite 17 https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Preparedness_Response/Rahmenkonzept_Epidemis che_bedeutsame_Lagen.pdf?__blob=publicationFile
Sinnvoll ist diese Abschätzung von Gefahren und Risiken, weil sie eine Priorisierung von präventiven Schutzmaßnahmen ermöglicht.
Wenn es, wie in der vorliegenden Krise, gleichzeitig zwei Gefahren gibt, müssen diese nach dieser Methode miteinander verglichen werden. Die methodischen Anforderungen für den Nachweis von Wahrscheinlichkeit des Eintretens und das Ausmaß seiner Auswirkungen müssen identisch sein. Sonst kann man die Auswirkungen nicht vergleichen.
Zu beachten ist, dass die eine der beiden gegenwärtigen Gefahren, der Corona Virus, extern verursacht ist, und große Unsicherheiten bestehen einzuschätzen, wie die von ihm ausgehenden Gefahren gemindert werden können, während wir die Dynamik der zweiten gegenwärtigen Gefahr, die Wirtschafts- und Gesellschaftskrise, relativ gut kennen (Erfahrungen mit der Finanzkrise 2009) und sie vollständig steuern können – jedenfalls solange sie keine unkontrollierbare Eigendynamik entwickelt. Und gerade weil diese Gefahr besteht, muss eine sehr sorgfältig und intensiv betriebene und ganzheitlich-systemisch angelegte Gefahrenabschätzung vorgenommen werden.
Das Problem paralleler Risiken ist aus der Medizin bekannt. Wenn ein Tumor in ein lebenswichtiges Organ eingewachsen ist, kann man ihn nicht einfach herausschneiden.
2.2 Hinweise und Warnungen in Publikationen, Broschüren und Reden
Dass die Bewertung von bundesweiten Gefährdungen („bundesweite Risikoanalyse“) noch nicht ausreicht und dringend verbessert werden muss, ist seit über zehn Jahren bekannt. Dieses Anliegen war bei der letzten Änderung des ZSKG (2009) noch nicht integriert worden.
2012 stellte der damalige Leiter der Katastrophenschutzabteilung des BMI fest, dass zwar wesentliches bei der Verbesserung von Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe erreicht sei, aber insbesondere die bundesweite Risikoanalyse noch abgearbeitet werden müsse.
„Als neue Instrumente in der Bund-Länder-Zusammenarbeit wurden das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum des Bundes und der Länder, die Datenbank deNIS für das Informations- und Ressourcenmanagement, das satellitengestützte Warnsystem des Bundes und als organisatorischer Schwer punkt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe gegründet. Das BBK verknüpft alle Bereiche der zivilen Sicherheitsvorsorge zu einem wirksamen Schutzsystem für die Bevölkerung und ihre Lebensgrundlagen („Bevölkerungsschutz“) und unterstützt mit Ausstattung und Expertise die Länder bei Großschadenslagen („Katastrophenhilfe“).Die großen Entscheidungen im Bevölkerungsschutz sind damit gefallen. Die „Neue Strategie“ ist – letzter wesentlicher Schritt war das neue Gesetz über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes im Jahr 2009 – im Wesentlichen umgesetzt, auch wenn noch einige Punkte abzuarbeiten sind, so die bundesweite Risikoanalyse.“ (Norbert Seitz, aus: Schriften zur Zukunft der Öffentlichen Sicherheit, Das Undenkbare denken, Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit, 2012, ab Seite 36)
Ebenso ist lange bekannt, dass bei Großschadenlagen wie einer Pandemie systemische Zusammenhänge zu beachten sind.
„Wollte man versuchen Risiken und Gefahren für unsere Gesellschaft zusammenzutragen, würde man eine Liste ganz unterschiedlicher Phänomene zusammenstellen können, wie bereits vielfach geschehen: Ausfall kritischer
Infrastrukturen, Naturgefahren, Pandemien sowie Terrorismus und (Cyber-) Kriminalität. Die Aufzählung ließe sich problemlos erweitern. Entscheidend ist jedoch, dass die benannten Gefahren und Risiken etwas gemeinsam haben: Sie haben systemischen Charakter. Nach Renn et al. beziehen sich systemische Risiken auf „hochgradig vernetzte Problemzusammenhänge, mit schwer abschätzbaren Breiten- und Langzeitwirkungen, deren Beschreibung, Kategorisierung und Bewältigung mit erheblichen Wissens- und Bewertungsproblemen verbunden sind2“ [zitiert nach Renn, Ortwin/Schweizer, Pia J./Dreyer, Marion/Klinke, Andreas 2007: Risiko. Über den gesellschaftlichen Umgang mit Risiko, München:176]“ (Marie-Luise Beck und Dr. Lars Gerhold, FOES, Komplexität, Unsicherheit und Ambiguität – vom mühsamen Umgang mit systemischen Risiken, aus: Schriften zur Zukunft der Öffentlichen Sicherheit, Das Undenkbare denken, Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit, 2012, Seite 32)
Die Wechselwirkungen von Maßnahmen des Gesundheitsschutzes mit anderen gesellschaftlichen Bereichen, waren anschaulich in der letzten weltweiten Krisensituation (Finanzkrise 2009) deutlich geworden. An dieser Erkenntnis hätte das Krisenmanagement in der Coronakrise stärker ausrichtet werden können und müssen.
„(…) Beispiel ist die derzeitige Finanzkrise, die als US-Immobilienkrise startete, auf den Bankensektor übersprang, sich zur Staatenkrise entwickelte und derzeit wieder die Banken in Bedrängnis zu bringen scheint. Als weitere Nebenfolgen wird der Vertrauensverlust der Bevölkerung in das Finanz- und Wirtschaftssystem sowie ein Legitimitätsverlust der Demokratie in den Medien diskutiert.“ (Marie-Luise Beck und Dr. Lars Gerhold, FOES, ebd., Seite 32)
Das Krisenmanagement 2020 hat diese Wechselwirkungen nicht systematisch miterfasst und in ihrer Wirkung nicht gegengerechnet. Durch diese arbeitstechnische Fehlleistung war es nicht möglich, rechtzeitig zu erkennen, wann die Kollateralschäden die beabsichtigte Wirkung überkompensieren würden.
Das BMI, das eine Grundsatzzuständigkeit für den Schutz Kritischer Infrastrukturen hat, und diese auf ihrer Website umfassend bewirbt (siehe Screenshot in Anlage 2), hätte die Eigenartigen von Kritischen Infrastrukturen bedenken und aktiv Überlegungen dazu in das Krisenmanagement einbeziehen müssen.
„(…) Ursache-Wirkungs- Bezüge, die in ihren Verästelungen kaum bekannt, geschweige denn beherrschbar sind. Ein Beispiel sind die Interdependenzen von
Kritischen Infrastrukturen und ihre kaskadierenden Effekte bei Störungen, aber auch Infektionserkrankungen, bei denen es keinen eindeutigen Dosis-Wirkungs-
Zusammenhang gibt und wo durch unterschiedliche Inkubationszeiten die Ursache (Ansteckung) und Auswirkung (Erkrankung) zeitlich extrem auseinander liegen kann.“ (Marie-Luise Beck und Dr. Lars Gerhold, FOES, ebd., Seite 33)
In einer Krise auf Vorgaben der EU zu warten erscheint wenig hilfreich, da dort in der Regel ein Minimalkonsens zustande kommt, der unter manchen wichtigen deutschen Standards zu liegen droht. Dass die europäischen Schutzmaßnahmen zu KRITIS nicht ausreichen, stellte im Übrigen der frühere Bundesinnenminister de Maizière 2015 in einer Rede heraus.
„Auch beim Schutz kritischer Infrastrukturen, also der für unsere Gesellschaft so bedeutsamen Einrichtungen wie Strom-, Wasser- und Energieversorgung, das Funktionieren der Bankensysteme, der Versicherungssysteme, besteht auch in Europa Handlungsbedarf.“ (Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière auf dem Forum International de la Cybersécurité am 20. Januar 2015 in Berlin)
In seiner Zeit als Bundesinnenminister erteilte de Maizière seinem Haus bereits 2015 den Auftrag, die nationale Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen weiter zu entwickeln und er gab einen konzeptionellen Rahmen dafür vor. Seitdem wurde dieses Thema stiefmütterlich behandelt. Das Vorhaben ist trotz jahrelanger Arbeiten immer noch weit von einem Ergebnis entfernt. Der Grund liegt – nach meiner Erkenntnis als erster Leiter dieses Projekts - in vielfachen administrativen Ungeschicklichkeiten und Fehlleistungen des eigenen Hauses (bei Bedarf, gerne ausführlicher). Die Auswirkungen zeigen sich heute: Die erneuerte KRITIS-Strategie sollte nach dem Willen des damaligen Bundesministers als erstes Element eines neuen KRITIS-Pakets Impulsgeber und Auftakt für ein KRITIS-Regierungsprogramm mit weitergehenden Maßnahmen zum Schutz Kritischer Infrastrukturen bilden, um die Resilienz unserer Gesellschaft nachhaltig zu verbessern. Dadurch, dass in den fünf Jahren seit Auslösen des Arbeitsauftrags noch nicht einmal ein symbolisches Strategiepapier erstellt werden konnte, kam auch der weitergehende Prozess nicht in Gange. Die Resilienz wurde nicht wie vorgesehen verbessert. Ich komme später darauf zurück.
3. Auswertungen früherer Übungen
Wie funktionieren Krisen-Übungen?
Die Auswertung von Übungen offenbaren regelmäßig schwerwiegende Defizite in den Vorgaben und auch Fehler von an der Übung Beteiligten. Diese Defizite und Fehler werden analysiert und aus ihnen werden Hinweise und neue Vorgaben (Verfahren) für den Ernstfall destilliert. Es liegt gewissermaßen in der Natur und in dem Zweck einer Übung, dass sie in einem Desaster endet. Wenn das nicht geschieht, war die Übung zu einfach, dann lernt man nichts daraus. Lernen aus Fehlern ist der kritische Erfolgsfaktor für das Krisenmanagement.
3.1 Lükex 2007
In der großen Krisen-Übung von Bund und Ländern 2007 (LÜKEX) wurde eine Pandemie geübt. Im Ergebnis wurde genau das beschrieben, was heute eines der großen Probleme der Krisenbewältigung ist. Die ressortübergreifende Risikobetrachtung war mangelhaft. Die gleichen Defizite bestehen noch heute, es wurde aus der Übung nichts gelernt. Das führt heute dazu, dass immer noch das gesundheitliche Risiko Gegenstand des einen Krisenstabs ist, der mit seinen Maßnahmen zusätzliche Gefahren schafft, die so groß werden, dass weitere Krisenstäben gebildet werden müssen, die nunmehr parallel agieren. Weder die Risikoanalyse noch die Maßnahmenplanung werden zusammengeführt.
Zitat: „Eine ganzheitliche und ressortübergreifende Risikobetrachtung ist nur ansatzweise festzustellen. Vor diesem Hintergrund ergeben sich Defizite in der genauen Identifizierung, der korrekten Bewertung, der entsprechenden Behandlung und der Beobachtung der Risiken, die eine angemessene Ressourcenplanung erschweren.“
Quelle: 2007 Auswertungsbericht über die LÜKEX 2007 (Pandemie-Szenario), Seite 22 unten
Außerdem werden die Risiken der Gesundheitskrise als die schwerwiegenderen angesehen und zu den entscheidungsleitenden gemacht, obwohl gar kein Vergleich stattgefunden hat.
Ein extrem schwerwiegendes Defizit und zugleich massiver handwerklicher Mangel eines Krisenmanagements besteht in der unzureichenden Risikoermittlung durch das Krisenmanagement. Wenn für die Ermittlung der gesundheitlichen Gefahren für unsere Gesellschaft (nicht die einzelnen individuellen Gefahren) punktuelle aktuelle Daten verwendet werden, deren Bedeutung für die Gefahrenqualität sich erst aus einem Abgleich mit anderen, umfassend verfügbaren Daten erschließen (insbesondere die Zahlen zu an einem Virus verstorbenen), so muss dieser Abgleich eingeplant und durchgeführt werden.
Zum Vergleich: Wenn ich die Gefährlichkeit eines starken Regens einschätzen will, muss ich wissen, wie viel Regen ungefährlich ist, bzw. regelmäßig keine Schutzmaßnahmen erfordert, und ich werde ermitteln, um wie viel dieses Level voraussichtlich überstiegen werden wird.
Auch durch normalen Regen entstehen regelmäßig Schäden. Ob vor einem stärkeren Regen zu warnen ist, weil deutlich mehr Schaden entstehen wird, oder ob zur Abwehr der zusätzlichen Schäden sogar massive Schutzmaßnahmen nötig sind, hängt davon ab, um wie viel Wasser der erwartete Starkregen über der durchschnittlichen Regenmenge liegt und in welchen (gesellschaftlichen) Bereichen sich dieses mehr an Regenwasser in welcher Weise auswirkt.
Das bedeutet: Erst wenn ich weiß, ob und wie viele über der durchschnittlichen Menge an Todesfällen liegende Todesfälle durch einen Virus ausgelöst werden, und wenn ich weiß, welche funktionalen Bereiche der Gesellschaft voraussichtlich betroffen sein werden/können, kann ich angemessene und verhältnismäßige Maßnahmen konzipieren, um der Pflicht des Katastrophenschutzes nachzukommen, große nationale Gefahren von unserer Gesellschaft abzuwenden.
Ob einem Krisenmanagement, das dies versäumt hat, zur Last gelegt werden kann, dass es falsche (unangemessene, unwirksame, unnötigen Schaden auslösende) Entscheidungen getroffen hat, lässt sich schwer mit hundertprozentiger Sicherheit sagen – aber leider mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit. Mit Sicherheit kann jedoch gesagt werden, dass Schutzmaßnahmen beschlossen wurden, ohne die Gefahr auch nur so gut zu kennen und so einschätzen zu können, wie es möglich gewesen wäre, wenn es eine sachgerechte Risikoanalyse gegeben hätte. Die Wahrscheinlichkeit, durch den Verzicht auf umfassende Vergleiche und vollständige Risikoanalyse zu falschen Maßnahmen zu gelangen, geht gegen 100 Prozent. Es wäre reiner Zufall, wenn die ergriffenen Maßnahmen weder zu stark noch zu schwach wären, sondern ganz genau die richtigen. Krisenmanagement droht in einer derartigen Krise zu etwas zu werden, was es nicht sein sollte: ein überwiegend spekulatives Geschäft mit dem Schicksal unseres Gemeinwesens und unserer Bevölkerung.
3.2 Auswertung der Risikoanalyse aus 2012 und Bezüge zur aktuellen Krise
Der Bund hat den gesetzlichen Auftrag zur Durchführung von Risikoanalysen im Bereich des Bevölkerungsschutzes – nach § 18 Absatz 1 Satz 1 des Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetzes des Bundes (ZSKG). In diesem Rahmen wurde 2012, fachlich federführend durch das BBK, aber unter Einbeziehung aller einschlägigen Bundesressorts und ihrer Geschäftsbereichsbehörden, eine Risikoanalyse erarbeitet, die seither allen Bundes- und Landesbehörden zur Verfügung steht. Der simulierte Pandemieverlauf wurde vom RKI beigesteuert.
Der Kontrast zwischen der gegenwärtigen Krise und dem Schreckens-Szenario der Risikoanalyse könnte kaum größer sein (BT-Drucksache 17/12051 vom 03. 01. 2013, Unterrichtung durch die Bundesregierung, Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012).
Die Gefahren und Auswirkungen, die generell von Schutzmaßnahmen ausgehen, wurden zwar auch in der Risikoanalyse benannt. Es wurde davon ausgegangen, dass irgendjemand die richtigen Zahlen liefert. So wie heute.
Nachdem wir 2020 erfahren, dass Schutzmaßnahmen gegen eine sehr viel harmlosere Pandemie bereits härtere Kollateralschäden erzeugen können, erscheint das damals zu Übungszwecken konstruierte Szenario in manchen Punkten unrealistisch. Bei einer derartig schweren Pandemie, wie in dem Übungsszenario des BBK, würde man nach dem heutigen Erfahrungsstand sehr viel negativere und desaströsere Auswirkungen auf unserer Gesellschaft und für die Bevölkerung veranschlagen. An manchen Punkten wird das besonders deutlich und wirft ein Licht auf das aktuelle Krisengeschehen:
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Bei einer wirklich schweren Pandemie mit Millionen Toten (wie in der Risikoanalyse 2012) wäre es nicht mehr nötig, eine Ausgehsperre zu verhängen. Die Menschen würden von sich aus nicht mehr aus ihrem Haus gehen, wenn um sie herum gestorben wird und jeder falsche Kontakt den Tod innerhalb weniger Tage bedeuten kann.
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Andererseits würde sich bei einer gefährlichen und gesundheitlich unmittelbar folgenschweren Pandemie auch keiner mehr an solche Vorgaben halten, der anderes vorhat. Und der Staat wäre gar nicht mehr in der Lage, Ausgangssperren flächendeckend durchzusetzen, so wie es 2020 noch fast problemlos möglich ist – u.a. durch höfliche Politessen, die mit erhobenem Zeigefinger Knöllchen verteilen und versuchen, dabei einen ernsthaften Eindruck zu machen. Der Staat hätte in einer gefährlichen Virus-Pandemie mit den verbliebenen Kräften wichtigeres zu tun.
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Auch von der Arbeit müsste man niemanden abhalten, es würde keiner mehr hingehen, wenn dort möglicherweise der sichere Tod auf ihn wartete. Wer gebraucht wird, etwa weil er für den Betrieb einer Kritischen Infrastruktur benötigt wird, müsste von der Polizei abgeholt werden, weil er sich von seinen Lieben nicht entfernen will.
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Die Polizei und Militär wären ebenso ausgedünnt, die Sicherheit und Ordnung könnte nicht mehr gewährleistet werden, Kriminalität würde überhandnehmen und, und, und. Eine Pandemie mit 7,5 Mio. Toten würde unsere Gesellschaftsformation und staatliche Ordnung kaum überstehen und unsere Zivilisation möglicherweise auch nicht, wenn die Kritischen Infrastrukturen zusammenbrächen.
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In dem 2012er Szenario wurde zur Vereinfachung eine gleichmäßige Betroffenheit aller Altersgruppen konstruiert, obwohl die Altersgruppe über 65 Jahren bei bisherigen Coronaviren deutlich überproportional erkranken und sterben. („Für das Modellieren der Zahlen an Erkrankten und Betroffenen im Szenario gehen wir davon aus, dass alle Altersgruppen gleich betroffen sind.“) – Die wahrscheinlichere Variante ist auch bei der sars-Variante Covid-19 zum Zuge gekommen. Mit der wesentlichen Konsequenz, dass 2020 die berufstätige Bevölkerung, die für die gesamte gesellschaftliche Arbeit und alle Wertschöpfungsprozesse benötigt wird, so gut wie nicht betroffen ist – jedenfalls nicht vordergründig gesundheitlich. In dem Szenario der Risikoanalyse hätte die breitere Altersverteilung von Todesopfern zu noch schwereren Auswirkungen auf alle gesellschaftlichen Bereiche führen müssen, mit dem Zusammenbrechen zumindest von Teilen der Kritischen Infrastrukturen und der Unmöglichkeit, nach überstandener Pandemie eine schnelle Regenerationsphase realisieren zu können. Für letzteres ist unübersehbar das reaktionsschnelle Fallenlassen aller Restriktionen und Schutzmaßnahmen der kritische Erfolgsfaktor.
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In einer echten Krise käme wohl auch niemand auf die Idee, beim Bundesverfassungsgericht einklagen zu wollen, dass er in dieser Lage eine politische Demonstration durchführen darf. Eine Meldung in der Zeitung wäre das jedenfalls nicht wert.
Eine wichtige Erkenntnis aus der Risikoanalyse 2012, dürfte sein, dass bei jeglichen Maßnahmen stets mitgedacht werden muss, dass sich die ersten Warnmeldungen als Fehlalarm herausstellen könnten. Denn wirksamen und umfassenden Schutzmaßnahmen wohnt ein gewaltiges eigenes Schadpotential inne (als Kollateralschaden). Dieses Schadpotential entfaltet vor allem bei einem Fehlalarm und Überschätzung der gesundheitlichen Gefahren seine fatale ironische Wirkung.
Rolle der Politik
Die Rolle der Politik kommt nur am Rande vor, nicht als impulsgebende Steuereinheit, wie es sich heute darstellt.
Auf Seite 68 der 2012er Risikoanalyse heißt es im Szenario:
„2.6 Behördliche Maßnahmen
Neben der Information der Bevölkerung treffen die Behörden, aufbauend auf bestehenden Plänen und den Erfahrungen aus der Vergangenheit, Maßnahmen zur Eindämmung und Bewältigung des Ereignisses. Krisenstäbe werden zeitnah einberufen und übernehmen die Leitung und Koordination der Maßnahmen. Die vorausschauende Beurteilung der Lage und die entsprechende Planung der Abwehrmaßnahmen werden unter allen beteiligten Ebenen abgestimmt.“
Die Risikoanalyse thematisiert mögliche Protest aus der Bevölkerung.
„Die Suche nach „Schuldigen“ und die Frage, ob die Vorbereitungen auf das Ereignis ausreichend waren, dürften noch während der ersten Infektionswelle aufkommen. Ob es zu Rücktrittsforderungen oder sonstigen schweren politischen Auswirkungen kommt, hängt auch vom Krisenmanagement und der Krisenkommunikation der Verantwortlichen ab.“ (Seite 80)
Auch in der Coronakrise wird es vermutlich zu Schuldzuweisungen kommen. Die werden sich selbst mit geschickter Öffentlichkeitsarbeit der Regierungen kaum verhindern lassen, selbst wenn versucht wird, die Massenmedien einzubinden. Bisher ist es nicht Ziel staatlicher Öffentlichkeitsarbeit, generell Kritik zu unterdrücken.
Weitere Hinweise auf Gefahren durch Kollateralschäden
Kollateralschäden sind regelmäßig zu erwarten, das muss im Ergebnis der Risikoanalyse das Krisenmanagement von vorne herein beachten. Die Kollateralschäden dieses Szenarios (7,5 Mio. Tote) würden sehr wahrscheinlich zu einem Zusammenbruch im Bereich der Kritischen Infrastrukturen führen.
„Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen sind hier nicht konkret abschätzbar, könnten allerdings immens sein. Da im gesamten Ereignisverlauf mindestens 7,5 Millionen Menschen sterben, ist trotz der Altersverteilung der Letalitätsrate mit dem Tod einer Vielzahl von Erwerbstätigen zu rechnen. Sollten z.B. vier Millionen Erwerbstätige versterben, wären dies ca. zehn Prozent aller Erwerbstätigen, dieser Verlust wäre volkswirtschaftlich deutlich spürbar und mit einem hohen Einbruch des Bruttoinlandprodukts verbunden.“ (Seite 78)
Die Kostenbelastungen einer solchen Krise haben Auswirkungen auf die Sozialen Sicherungsysteme. Je länger die Aufhebung von Schutzmaßnahmen verschleppt wird, desto größer wird der Nachteil für den Sozialstaat und den sozialen Frieden ausfallen. Das gilt natürlich für die Coronakrise.
„Mit massiven Kosten für die öffentliche Hand ist zu rechnen, u.a. durch den Verbrauch von medizinischem Material und Arzneimitteln sowie durch die Entwicklung und Beschaffung eines Impfstoffes. Durch den Ausfall von Wirtschaftsleistung sind geringere Steuereinnahmen zu erwarten. Dies führt in Verbindung mit dem Anstieg der Gesundheitskosten voraussichtlich zu einer erheblichen Belastung der Sozialversicherungssysteme, vor allem der gesetzlichen Krankenversicherung.“ (Seite 78)
Die Probleme durch Unterbrechungen von Lieferketten wurden in der Risikoanalyse beschrieben. Und auch, dass die Unterbrechung von Lieferketten zu Kaskadeneffekten führen kann.
„Generell ist zu berücksichtigen, dass Unternehmen die Auswirkungen der Pandemie selbst bei guter Planung und Vorbereitung ggf. nicht mehr kompensieren können (generelle Rationalisierungstendenzen: dünne Personaldecke, Abhängigkeit von Zulieferern, Just-in-Time-Produktionusw.). Dies kann sogar dazu führen, dass weltweit Produktionsketten zum Erliegen kommen.
Mit Blick auf vielfältige internationale Verflechtungen sind auch Versorgungsleistungen aus anderen Ländern für Deutschland von großer Bedeutung. Zahlreiche Güter und Dienste werden weltweit von nur wenigen Schlüsselproduzenten bereitgestellt. Somit könnten Ausfälle im Bereich importierter Güter und Rohstoffe auch in Deutschland zu spürbaren Engpässen und Kaskadeneffekten führen.“ (Seite 79)
Die aufgezeigten Auswirkungen beobachten wir in der Coronakrise schon jetzt, obwohl die
Fallzahlen bei weitem niedriger sind. Der Effekt wurde also unterschätzt. Gäbe es zusätzlich
Tote in Millionenhöhe, wäre der gesellschaftliche Zusammenbruch kaum mehr abzuwenden.
Davon sind Kritische Infrastrukturen betroffen, wie aktuell die Entwicklung in der Trinkwasserversorgung zeigt (s.u.).
Die Reaktionen der Bevölkerung sind schwer vorauszusehen. Sie können sehr unterschiedlich sein, und können sich bei zeitlicher Dehnung der Auswirkungen auch verändern. Diese Risiken sind umso größer, je länger in der Coronakrise die Schutzmaßnahmen von der Politik erzwungen werden.
„Im vorliegenden Szenario wird davon ausgegangen, dass die Mehrheit der Bevölkerung sich solidarisch verhält und versucht, die Auswirkungen des Ereignisses durch gegenseitige Unterstützung und Rücksichtnahme zu verringern. Ähnlich solidarische Verhaltensweisen wurden vielfach bei anderen Extremsituationen beobachtet. Gleichwohl ist es nicht auszuschließen, dass eine zunehmende Verunsicherung und das Gefühl, durch die Behörden und das Gesundheitswesen im Stich gelassen zu werden, aggressives und antisoziales Verhalten fördert.“ (Seite 79)
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Hat der Staat bisher genug für den Schutz Kritischer Infrastrukturen getan? Und wenn nein, was hindert ihn daran?
Diese Frage ist deshalb von Bedeutung, weil mit Maßnahmen zum Schutz Kritischer Infrastrukturen die Resilienz der KRITIS-Systeme und der Gesellschaft erhöht werden können. Je schlechter die Widerstandskraft ist, desto störungsanfälliger sind kritische Infrastrukturen, und desto eher kann es schon bei graduellen Limitierungen zu Ausfällen kommen. Erste Hinweise enthielt bereits das zweite Kapitel (s.o.).
Zweifellos wurde in den letzten Jahren einen Menge an Aktivitäten entfaltet. Der Entwurf einer Bilanzierung aller Aktivitäten seit Beschluss über die nationale KRITIS-Strategie zeigt das (BBK im Auftrag v. KM4). Da es nicht alleine auf die Qualität der Einzelmaßnahmen ankommt, und die Vergrößerung von Gefahren in der gleichen Zeit gegengerechnet werden müsste, um den Nettoschutzeffekt (Resilienz-Saldo) zu erhalten, befasse ich mich hier vor allem mit der strategischen Perspektive.
Der Schutz Kritischer Infrastrukturen wird auch von den Ländern als vordringliches Ziel anerkannt. Die bisher ergriffenen Maßnahmen reichen nicht aus, auch wenn sinnvolle Schritte gemacht wurden.
„Fragen der Versorgung spielen in unserem alltäglichen Leben kaum eine Rolle. In welchem Maße wir auf Strom, Wasser oder etwa Internet angewiesen sind, merken wir erst, wenn die einzelne Versorgungsleistung gestört ist. Die zunehmende Digitalisierung bietet viele Chancen, birgt aber auch Risiken und Gefahren. Deshalb müssen wir die Resistenz unserer kritischen Infrastrukturen erhöhen und auf alle denkbaren ‚Worst-Case-Szenarien‘ vorbereitet sein. Um das hohe Niveau der
Daseinsvorsorge in Hessen zu sichern, haben wir in den vergangenen Jahren sowohl den Brand- und Katastrophenschutz als auch den Bereich Cyber- und IT-Sicherheit deutlich gestärkt.“ (Peter Beuth, Hessischer Innenminister, auf einer vom Hessischen Innenministerium organisierten Fachkonferenz im Biebricher Schloss zum Thema Kritische Infrastrukturen am 25. November 2019)
Der frühere Bundesinnenminister Friedrich brachte 2011 das IT-Sicherheitsgesetz auf den Weg und begründete das mit der notwendigen Verbesserung des Schutzes Kritischer Infrastrukturen.
„Neue Technologien bedeuten neue Chancen, Kollege Bockhahn. Durch das Internet entstehen Produktivitätsfortschritte, aber auch neue Risiken. Das alles baut auf einer unglaublich aufwendigen Technologie auf. Wenn wir diese Technologie und alles, was uns in unserem täglichen Leben Lebensqualität, aber auch Wohlstand bringt – die kritische Infrastruktur, unsere Stromversorgung, die Kommunikation, die Wasserversorgung, die Logistik und das Finanzwesen –, schützen wollen, dann müssen wir die Sicherheitsbehörden, insbesondere das BSI, in die Lage versetzen, all die Möglichkeiten der Abwehr vorzuhalten und mit den technologischen Herausforderungen Schritt zu halten. Das ist teuer, aber es gibt keine Alternative dazu. Wir müssen in der Lage sein, unsere Bevölkerung, unsere Systeme und unsere Daseinsvorsorge zu schützen. Deswegen ist es richtig, das BSI zu stärken.“ (aus: Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Hans-Peter Friedrich, zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen Bundestag am 22. November 2011 in Berlin)
Die Umsetzung zog sich über einige Jahre hin, Minister Friedrich vertrat dies bei jeder Gelegenheit. Mit Bezug zur IT-Sicherheit als Kritische Infrastruktur sagte er 2013: „(…) Das zeigt, wie wichtig es ist, dass wir unsere Daten, unsere Leitungen, unsere Netze, unsere Infrastruktur widerstandsfähig machen. Darüber rede ich hier seit Monaten.“ (aus: Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Hans-Peter Friedrich, in der Debatte zu den Konsequenzen für Deutschland aus der internationalen Internetüberwachung vor dem Deutschen Bundestag am 26. Juni 2013 in Berlin)
Inzwischen gilt das IT-Sicherheitsgesetz als deutsches Vorzeigeobjekt, obwohl es nur begrenzte Verbindlichkeit entfaltet und die Einhaltung von Gesetz und Verordnung schlecht verifiziert werden kann. Als Einstieg war das unverzichtbar und bietet ein guten Fundament. Derzeit wird die zweite, deutlich ambitioniertere Stufe des IT-Sicherheitsgesetzes im BMI vorbereitet.
Im August 2016 wurde das neue Zivilschutzkonzept durch Bundesinnenminister de Maiziere in einem Berliner Wasserwerk der Öffentlichkeit vorgestellt, ein Baustein dieses Konzeptes ist die Verbesserung des KRITIS-Schutzes. Dieses event war ursprünglich als rein fachspezifisches Ereignis geplant gewesen, vehement reagiert hat dann schließlich die allgemeine Presse (insbesondere die Breiten-Publikationen).
„Die Bevölkerung wurde aufgefordert, zur Erstversorgung im Krisenfall für fünf Tage zehn Liter Wasser pro Person vorzuhalten sowie einen Vorrat an Lebensmitteln für zehn Tage. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat Kritik am neuen Konzept zur Zivilverteidigung zurückgewiesen. (…) Es sei ein umfassendes, lange erarbeitetes Konzept jenseits jeder Panikmache, sagte de Maizière am Mittwoch in Berlin. „Wir alle wünschen uns, dass uns größere Krisen erspart blieben”, sagte de Maizière. Doch es sei vernünftig, sich „angemessen und mit kühlem Kopf” auf Krisenszenarien vorzubereiten. (…)
Das Konzept ist in den vergangenen Tagen schon heftig diskutiert worden. Unter anderem wird die Bevölkerung aufgefordert, zur Erstversorgung im Krisenfall für fünf Tage zehn Liter Wasser pro Person vorzuhalten sowie einen Vorrat an Lebensmitteln für zehn Tage. Auch Überlegungen zur Wiedereinführung der Wehrpflicht im Krisenfall und Szenarien für Einsätze des Technischen Hilfswerks (THW) sind in dem Papier enthalten. So heißt es etwa: „Im Falle einer Beendigung der Aussetzung des Vollzugs der Wehrpflicht entsteht Unterstützungsbedarf der Bundeswehr bei Heranziehungsorganisation und Unterbringungsinfrastruktur.” (aus: BZ Berlin vom 24.8.2016, De Maizière weist Kritik an umstrittenem Konzept zum Zivilschutz zurück, https://www.bz-berlin.de/berlin/reinickendorf/de-maiziere-stellt-umstrittenes-konzept-zum-zivilschutz-in-berlin-vor)
Selbst die örtlichen Anzeigenblätter interpretierten und skandalisierten die Aussagen des Ministers als indirekten Aufruf zu Hamsterkäufen.
„Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat am 24. August im Wasserwerk Tegel das zuvor im Bundeskabinett beschlossene Konzept Zivile Verteidigung vorgestellt. Der Presseauflauf ist enorm. Dreizehn Kameras sind auf das Podium gerichtet, noch mehr schreibende Journalisten verteilen sich auf die Sitzreihen, drum herum tummeln sich die Fotografen. Die meisten sind gern in der Sommerpause aus dem Regierungsviertel an den Tegeler See gekommen, doch das Wasserwerk interessiert die meisten dann nur am Rande.
Wie könne es sein, dass kurz nach Terroranschlägen und Münchner Amoklauf die Bundesregierung die Bevölkerung indirekt zu Hamsterkäufen aufrufe? Diesen Tenor hat so manche Frage, und ähnlich gleich bleiben die Antworten des Ministers. Man müsse Pläne für den Katastrophenschutz ab und zu anpassen, und genau dies hätten die Bundesministerien getan, unabhängig von aktuellen Ereignissen.
Dass jeder Haushalt in der Lage sein sollte, sich ein paar Tage selbst zu versorgen, sei doch selbstverständlich, sagt der Minister unter Verweis auf seinen eigenen „vollgestellten Keller“, in den er aber keinen Journalisten hineinlassen möchte.“ (aus: Besuch im Wasserwerk: Thomas de Maizière bei „kritischer Infrastruktur“ Christian Schindler, aus Reinickendorf, 26. August 2016, 00:00 Uhr, https://www.berliner-woche.de/tegel/c-politik/besuch-im-wasserwerk-thomas-de-maizire-bei-kritischer-infrastruktur_a107515)
In Fachkreisen gilt der Begriff „Hamsterkäufe“ inzwischen als geflügeltes Wort. Wer sich dieses Vorwurfs bedient, kann jedes vernünftige Projekt zum Scheitern bringen. Aus Sicht der Experten in den Ministerialapparaten von Bund und Ländern war die Politik (politische Leitung der Ministerien und Regierungszentralen) aufgrund des „Hamsterkäufe-Effekts“ bisher nicht stark genug, überfällige Aktivitäten und substanzielle Verbesserungen beim Schutz Kritischer Infrastrukturen in Deutschland wirksam voran zu treiben.
Der Bundesinnenminister verteidigte sein Anliegen zwar, war aber politisch in Bedrängnis geraten. Aus dem politischen Feld heraus wurde dieser Effekt noch gezielt verstärkt.
„Kritik wie jene der SPD, der Zeitpunkt hierfür nach den jüngsten Anschlägen schüre Verunsicherung, ließ der Minister nicht gelten. „Es ist üblich, wenn eine Ressortabstimmung abgeschlossen ist, dass es dann ins Kabinett kommt.”“ (aus: BZ Berlin vom 24.8.2016, ebd.)
Erst dieser verstärkte Effekt führte dazu, dass die Abteilungsleitung KM nach Erörterung der Angelegenheit beim Minister, das Vorhaben mit Samthandschuhen anfasste und die interne Aufforderung erging, möglichst unauffällig unter dem Öffentlichkeitsradar weiter zu arbeiten. Das Vorhaben der Erneuerung der allgemeinen KRITIS-Strategie wurde, im Gegensatz zur IT-Sicherheitsstrategie, vom Ministerial-Apparat in der Priorität drastisch herabgestuft. Das wäre (mit Blick auf den IT-Bereich), nicht zwingend gewesen. Auf die eigentliche Projektarbeit der Erneuerung der KRITIS Strategie hatte die hauspolitische Vorgabe nur begrenzte Auswirkungen. Die durfte und sollte unverändert, aber von der Abteilungsleitung nicht gerade besonders interessiert oder engagiert begleitet, im Fachreferat weiter geführt werden.
Eckpunkte und Entwürfe wurden mehrfach im Hause, im Ressortkreis auf Bundesebene und in Facharbeitsgruppen mit den Ländern abgestimmt. Solche technisch zustande gekommenen Produkte, die nicht von der Abteilungsleitung eng begleitet und mit Zielvorgaben gesteuert werden, haben oftmals geringe Wirksamkeit und Akzeptanz, wenn sie der gleichen Abteilungsleitung schließlich und unvermittelt in der finalen Endfassung vorgelegt werden. In diesem Fall, war das von Vorteil, denn das finale Papier war (aus meiner persönlichen fachlichen Sicht) denkbar ungeeignet. Aufgrund verschiedener Widrigkeiten erfolgte die referatsinterne Projektsteuerung suboptimal und war am Ende auch unwirtschaftlich war.
Die Abteilungsleitung stoppte das mit den Ländern auf Arbeitsebene (AG KOST KRITIS) abgestimmte Papier glücklicherweise aufgrund nachgewiesener schwerwiegender systematischer inhaltlicher Mängel aus eigener Kraft. Allerdings wurden die Länder und das am Projekt prominent beteiligte BBK über die genauen Ablehnungsgründe, die in umfassend aufbereiteter Schriftform vorliegen (seit 2.3.20 auch SV AL KM), bis heute im Unklaren gelassen. Dieser Umstand wird aller Voraussicht nach dazu führen, dass die inzwischen unter Federführung der Länder fortgesetzte Arbeit an einem Neuentwurf der KRITIS-Strategie erneut scheitern wird.
Selbstverständlich ist auch die Entscheidung, die Federführung einer erneuerten Strategie, die ihrem Rang nach (wie bei der noch geltenden Strategie) im Bundeskabinett verabschiedet werden soll, in die Hände der Länder zu legen, nicht unbedingt konstruktiv. Wenn diese Gemengelage nicht grundlegend aufgearbeitet und neu geordnet wird, ist selbst mit einem Neuaufbruch unter dem Eindruck der Coronakrise das Vorhaben einer erneuerten nationalen KRITIS-Strategie – auch mit Perspektive auf das von der Strategie abzuleitende nationale Regierungsprogramm zum Schutz Kritischer Infrastrukturen – bis auf weiteres nicht viel zu erwarten.
5. Was hätte bei der Gefahrenbewertung beachtet werden müssen?
Auf der Basis der vorhergehenden Erkenntnisse wird deutlich, was eine Gefahrenbewertung ausmacht und wofür sie gebraucht wird. In 5.1 wird eine Methode zur Überprüfung der Qualität einer Gefahrenbewertung vorgestellt. Anschließend werden verschiedenen Ansätze von Plausibilitätsprüfungen skizziert.
5.1 Anleitung zur Gefahrenbewertung mit Checkliste
Grundlage jeder Krisenintervention zur Abwehr einer außergewöhnlichen Gefahr ist eine umfassende Erhebung von entscheidungsrelevanten Sachverhalten und eine Bewertung der drohenden Gefahren, die alle für die Ermittlung der Gefahren relevanten Aspekte einbeziehen und den Handlungsbedarf begründen. Prognosen, Szenarien (alternative Projektionen) und Maßnahmen müssen einer Plausibilitätsprüfung unterzogen werden, bevor sie zum Maßstab und Gegenstand von Entscheidungen gemacht werden können.
Um die Einhaltung diese Anforderungen in einer konkreten Lage zu verifizieren, braucht man eine daraus abgeleitete und ergänzte Checkliste.
Falls Maßnahmen der Krisenintervention mehr als nur schwache negative Nebenwirkungen haben, müssen die ursprünglichen Gefahren und die hinzutretenden Gefahren in einer Multigefahren-Bewertung erfasst werden um zu vermeiden, dass die Kollateralschäden größer werden, als der abzuwehrende Schaden durch die erste Gefahr.
Eine solche Checkliste gibt es bisher nicht. Sie wurde weder vor, noch nach der Lükex 07 oder der Risikoanalyse von 2012 entwickelt – was ich hiermit nachhole:
Krisenmanagement-Checkliste für die Teil 1: Einzel-Gefahrenlagen Qualitätskontrolle einer Gefahrenbewertung und der dafür erforderlichen Prozesse
Krisenmanagement-Checkliste für die Teil 2: Ergänzungen für Multi-Gefahrenlagen Qualitätskontrolle einer Gefahrenbewertung und der dafür erforderlichen Prozesse
5.2 Wie hätte eine Gefahreneinschätzung (gesundheitliche Gefahren) nach Plausibilität ausgesehen?
Wir gehen von der ersten Gefährdungslage, den gesundheitlichen Gefährdungen unserer Gesellschaft durch den neuen Virus, aus. Wir nähern uns dem Problem über eine funktionale Analyse und gleichen diese später mit den bestehenden oder kurzfristig geschaffenen rechtlichen Rahmenbedingungen ab. Der Grund für dieses Vorgehen liegt auf der Hand: Hauptgegenstand dieses Berichts sind die Auswirkungen auf die Kritischen Infrastrukturen in Deutschland, die dem Krisenmanagement zugearbeitet werden sollen, nicht die Rechtskonformität des Krisenmanagements. Das wäre jedoch ein Nebennutzen des zweiten Schwerpunktes, der darin besteht, den Rechtsrahmen auf Plausibilität und Geeignetheit zu überprüfen. Denn was nützen die schönsten Gesetze, wenn sie in der Praxis nicht optimal dazu beitragen können, eine Krise zu bewältigen oder wenn sie sogar kontraproduktiv auf die Krisenbewältigung wirken.
Grundlage jedes Krisenmanagements ist die Bewertung der Gefahr (s.o.), das Einschätzen möglicher Schäden.
Im Falle einer Pandemie geht es darum, die möglichen Schäden für unsere Gesellschaft durch eine lebensgefährliche Erkrankung bis hin zum Versterben der Infizierten / Erkrankten abzuschätzen. Da weltweit keine ausreichenden Vorerfahrungen bestanden und diese aufgrund unterschiedliche Rahmenbedingungen in den verschiedenen Staaten auch nur eingeschränkt verwertbar sind, musste diese Einschätzung auf der Basis des Infektions-, Erkrankungs- und Sterbegeschehens in Deutschland selbst vorgenommen werden. Zur quantitativen Beurteilung mussten Daten erhoben, bzw. aus bestehende Datenpools abgerufen werden. Wichtigste Orientierungsgröße ist dabei das Ausmaß, des bisher eingetretenen Schadens und seine Dynamik.
Der Schaden, den eine Erkrankung auslösen kann, besteht üblicherweise in lebensqualitätssenkenden Folgeschäden und dem Tod. Diese beiden Größen mussten also erhoben und im Kontext bewertet werden. Der Kontext besteht im Wesentlichen aus:
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Auch ohne Pandemie bestehen erhebliche Risiken, zu Tode zu kommen. Die Wahrscheinlichkeit zu sterben liegt für jeden Menschen gleichermaßen bei exakt 100 Prozent.
-
In einer Pandemie will sich eine Gesellschaft mit gesonderten Schutzmaßnahmen vor zusätzlichen Risiken absichern, insbesondere vor einem vorzeitigen Tod, der durch das pandemische Virus ausgelöst werden könnte.
Der sicherste Indikator für die Gefährlichkeit eines neuen Virus bietet die rückblickende Sterbestatistik für das Pandemiejahr (und ggf. die Folgejahre). Die Gefährlichkeit des Virus war für die Gesellschaft umso stärker, je mehr die Zahl von Sterbefällen während der Pandemie von den durchschnittlichen Werten der Vorjahre nach oben abweicht. – Wenn es rückblickend sehr viel mehr Sterbefälle in dem betrachteten Zeitintervall gab, war das Virus sehr gefährlich. Wenn hingegen die Sterbezahlen im Bereich der durchschnittlichen Schwankungsbreite lagen, hat real für die Gesellschaft keine Gefahr bestanden.
Die Sterbestatistik, aus der wir die Gefährlichkeit ablesen könnten, steht uns erst in einigen Jahren zur Verfügung. Das hat zwei Konsequenzen:
-
Selbst die alten Statistiken der vergangenen Jahre sind eine wichtige Ressource, die für eine Gefahrenabschätzung unersetzlich sind. Da wir die Sterbestatistik für 2020 heute noch nicht haben, müssen wir uns praktikabler Hilfsindikatoren bedienen. Um die voraussichtlichen Auswirkungen auf die detailliert differenzierte Sterbestatistik wenigstens für die kurz zurückliegende Zeit der letzten Tage und Wochen zu ermitteln, müssen wir die tagesaktuellen Sterbefälle, und zwar nicht nur die aus dem unmittelbaren Corona-Kontext, von den Vergleichszahlen für das normale (durchschnittliche) Sterbegeschehen in Deutschland, abziehen und mit den Auswirkungen der allfälligen periodischen Virusinfektionen (+ ggf. anderen Krankheitswellen) vergleichen.
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Mitwirkung bei der Gesetzgebung zu bereichsspezifischen Rechtsgrundlagen sowie zum BevölkerungsschutzDer Krisenstab müsste sich darum kümmern, den Einfluss von Interessen- und Lobbygruppen jeglicher Art auf die Entscheidungsfindung des Krisenmanagements zu ermitteln und zu neutralisieren. Es muss ausgeschlossen sein, dass vom Krisenmanagement andere, als dem Gemeinwohl verpflichtete Ziele verfolgt werden. Jede Fehlentscheidung kostet Menschenleben.ir haben in der Krise an Widerstandfähigkeit und Widerstandkraft vor Störungen im KRITIS Bereich eingebüßt (Resilienz). Um unsere Resilienz annähernd auf das frühere Niveau zurück zu bringen, wäre wünschenswert, die Lebens- und Arbeitsbedingungen von vor der Krise wieder herzustellen und möglichst wenig Veränderung beizubehalten. Denn ein großer Umfang an Veränderungen, die nicht in einem geplanten organischen Prozess erreicht wurde, bedeutet bei Kritischen Infrastrukturen stets Instabilität und unkalkulierbare Risiken. – Derzeit liegt keine belastbare Bewertung der Gefahren für unsere Gesellschaft vor. Für die ergriffenen Schutzmaßnahmen kann so keine Notwendigkeit festgestellt werden. liegt keine Es Ob die ergriffenen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz notwendig sind, ist daher nicht bekann. gesundheitliche bewertung einschätzung. Es kann für die Notwendigkeit noch die Entbehrlichkeit von Schutzmaßnahmen eingeschätzt werden. vor, so dass der Zeitpunkt Ob der richtige Zeitpunkt bereits gegeben ist, lässt sich nicht sagen, solange keine belastbare Gefahreneinschätzung vorliegt.Die COVID-19-Pandemie hat einen Ausnahmezustand hervorgerufen, der Angst, Verunsicherung und Panik in der Gesellschaft und Wirtschaft begünstigt, was wiederum von Angreifern ausgenutzt werden kannine Durchsicht der „Ergebnisprotokolle der 15., 16. und 17. KriSta-Sitzung BMG-BMI“, die mit etwas zeitlichem Verzug am heutigen 7. Mai 2020 um 17:59 Uhr innerhalb des Krisenstabs verteilt wurden, ergibt, dass weder sorgfältige noch sonst irgendwelche Abwägungen mit Kollateralschäden vorgenommen wurden. In der 14. Sitzung wurde jedoch einmal über das Lagebild gesprochen (s.u.). Aus dieser Befassung kann geschlossen werden, dass auch die Bundeskanzlerin auf die bekannten Lagebilder zurückgreift.Wenn umfassende Aufstellungen und Berichte, die „sorgfältige Abwägungen“ enthalten sollten (wie von BK und den MP der Länder in ihrem veröffentlichten Beschluss vom 31. April 2020 behauptet wird1) existierten, hätten sie in den Sitzungen des Krisenstabs behandelt werden müssen oder diesem zumindest zur Kenntnis gegeben werden müssen. Die Regierungen (Bund+Länder) haben sich an keiner (hier bekannten) Stelle auf andere Grundlagen für Ihre Entscheidungen berufen, als dieDie Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wird derzeit insgesamt als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen als sehr hoch.“ Aus den vorgenannten Zahlen ist noch nicht ableitbar, dass „die“ Gesundheit einer Wie auch immer man einen Wirkungsvergleich zwischen Corona und Influenza im Einzelnen beschreiben möchte, angesichts der folgenden Vergleichszahlen bedarf es einer wirklich überzeugenden zusätzlichen Erklärung und Legitimierung für die im Zusammenhang mit Corona ergriffenen schweren Schutzmaßnahmen:
-
Dass die Sterbestatistik für 2020 mit zeitlichem Versatz von wenigen Jahren jedermann verfügbar sein wird, macht Zweckmäßigkeit und Angemessenheit aller von der Regierung ergriffenen Maßnahmen nachträglich vollständig überprüfbar und bewertbar. Alle Nachteile, die durch falsche oder unangemessene Schutzmaßnahmen (entweder zu viele oder zu wenige) bis dahin eingetreten sein werden, werden dann den Stellen und Personen angelastet, die in diesen Wochen und Monaten über die laufenden Maßnahmen entschieden haben und weiterhin entscheiden werden. Das kann in der Konsequenz u.a. zu Schadenersatzansprüchen führen, die glücklicherweise nur dann zum Tragen kommen können, wenn das Verhalten des Krisenmanagements und alle Entscheidungsprozesse aus heutiger Sicht zumindest einer einfachen Plausibilitätsprüfung standgehalten haben, bzw. wenn eine sorgfältige Plausibilitätsprüfung überhaupt unternommen wurde.
-
-
Die Trinkwasserversorger sind derzeit dabei, ihren Betrieb auf vollautomatisierten und digitalen Betrieb der Trinkwasserversorgung umzustellen, in vielen Bereichen ist das schon geschehen. Das erhöht die Abhängigkeit von Stromversorgung und Internet und erhöht damit die Versorgungsrisiken. Diese Risiken wurden und werden weiter eingegangen, weil es wirtschaftlicher ist. Der Staat hat bisher nicht interveniert. Ich habe einige kritische Vermerke geschrieben, das war’s.
Der Staat ist im Rahmen der Daseinsvorsorge verpflichtet, seiner Bevölkerung Trinkwasser anzubieten. Vertragspartner auf der staatlichen Seite sind in der Regel die Kommunen. Wenn es zu Ausfällen kommen sollte, haben Bürgermeister und Landräte ein Problem – sie haften.
Auch für die Möglichkeit, dass es eine Fehlmeldung vorliegt, muss ein Krisenmanagement laufend eine Plausibilitätsprüfung vornehmen, und
Es mag im Bundeskanzleramt, im BMI oder auch in andern Häusern gesonderte formelle und informelle Besprechungsrunden geben (z.B. Corona-Kabinett), die auch eine Art von Lageberichten produzieren. Diese hätten jedoch auch im Krisenstab zusammengeführt und konsolidiert werden müssen. Ohne die üblichen Abstimmungsverfahren zwischen den Ressorts (und ggf. mit den Ländern) ist das jedoch nicht denkbar
Eine Plausibilitätsprüfung empfiehlt sich natürlich nicht nur aus haftungsrechtlichen Gründen, sondern auch, weil alle am Krisenmanagement beteiligten sicherlich eine bestmögliche Arbeit machen, sowie Schäden und Nachteile von unserem Land abwehren wollen.
Stark eingreifende staatliche Schutzmaßnahmen sind nur dann der Bevölkerung zumutbar und rational geboten, wenn sie unserer Gesellschaft (nicht dem Einzelnen) einen deutlichen Vorteil gegenüber dem Nichthandeln des Staates bieten können. Auch dies muss also vor dem Einleiten der Maßnahmen, und auch noch laufend die Maßnahmen begleitend, gegengeprüft werden.
Es ist aus mehreren Gründen wichtig, dass das heutige Agieren des Krisenmanagements und der politischen Entscheider eine angemessene Plausibilität aufweist. Denn wäre schon die Plausibilität nicht gegeben, müsste schlimmstenfalls mit folgenden Konsequenzen gerechnet werden:
Das Krisenmanagement und die politischen Entscheider könnten einen gigantischen vermeidbaren Schaden für unsere Gesellschaft anrichten, der das Potential des Coranavirus bei weitem übertreffen und unvorstellbares Leid auslösen kann. Die Stabilität unseres Gemeinwesens und der Bestand unserer staatlichen Ordnung können gefährdet sein.
Es drohen dem Staat hohe Schadenersatzforderungen wegen offenkundiger Fehlentscheidungen.
Das bedeutet, dass folgende Todesfälle bei der Beurteilung der Gefährlichkeit eines neuen
Virus für unsere Gesellschaft nicht mitzuzählen sind, da sie im Rahmen der normalen
Schwankungsbreite des durchschnittlichen Sterbegeschehens liegen:
Todesfälle, bei denen zwar eine Infektion mit dem neuartigen Virus nachgewiesen werden kann, die Erkrankung an ihm aber nicht die Todesursache war
Menschen, bei denen der Tod kurz bevorstand, und die beim Hinzukommen jeglicher alltäglicher Belastungen oder zusätzlicher Erkrankungen (z.B. grippaler Infekt,
Lungenentzündung, …) nur noch palliativ medizinisch behandelt worden wären (Sterbebegleitung).
Erst die dann gewonnene, bereinigte Zahl an zusätzlich eingetretenen Todesfällen, ist Grundlage für die Einschätzung der Gefährlichkeit eines Viruses und die Planung von gesonderten Schutzmaßnahmen des Staates.
Zur Gefährdungsanalyse und zur Planung von Schutzmaßnahmen gehören weiterhin, dass die negativen Auswirkungen der Maßnahmen stets systematisch mit erfasst werden und die Effekt laufend miteinander abgeglichen und saldiert werden müssen, um jederzeit gegen die größte Gefahr kämpfen zu können.
Maßnahmen müssen konsistent sein, sie dürfen sich in ihrer Wirkung nicht gegenseitig nivellieren oder überkompensieren.
5.3 Plausibilitätsprüfung für die Gefährdung durch den Corona-Virus mittels Gegenüberstellung von Todesursachen
Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes, gemeinsam getragen von RKI und DESTATIS ermöglicht es für jedermann, Statistiken über das Sterbegeschehen zusammen zu stellen (http://www.gbe-bund.de/glossar/Todesursachenstatistik.html).
Hier habe ich eine Tabelle der 20 häufigsten Todesursachen modifiziert, um auf wöchentlicher Basis für ganz Deutschland einen Vergleich zwischen dem durchschnittlichen und dem aktuellen Sterbegeschehen vornehmen zu können. Dies habe ich für die erste Woche des Lockouts (23.-29.3.) und die letzte vollständige Woche (13.-19.4.), in der die Entscheidungen getroffen wurden, die Maßnahmen nur partiell zurück zu nehmen. Die Zahlen für Todesfälle stammen aus Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-19-
Pandemie_in_Deutschland, abgerufen am 23.4.20). Die vier Krankheiten, die ein vergleichbares
Symptomspektrum aufweisen wie Covid-19, habe ich zusätzlich zusammen gerechnet (blau).
Was noch fehlt, um eine sinnvolle Aussage machen zu können, sind die aktuellen
Sterbezahlen für die anderen 20 Krankheiten. Selbstverständlich zählt immer die originäre
Todesursache. Diese grobe Übersicht müsste nach Altersgruppen verfeinert werden.
Die Gefährlichkeit steigt, je mehr die durchschnittlichen Sterbezahlen übertroffen wird. Es muss also zusätzlich die Dynamik der Ausbreitung berücksichtigt werden. Wird sie gar nicht übertroffen, besteht überhaupt keine besondere Gefahr für unsere Gesellschaft.
Es gibt weitere Todesursachen, die über die individuelle Bedeutung hinaus auch eine gesellschaftliche haben, was sich auch im Sterbegeschehen manifestiert. Die Zahl der Suizide liegt bei ca. 9.000 jährlich in DEU. Um wie viel steigt diese Rate durch die Krise? Steigt sie durch die medizinische Bedrohung (den Virus), oder steigt sie wegen der negativen
200507 Auswertungsbericht KM4 a (2).docx Seite 28 von 83
Auswirkungen der Schutzmaßnahmen (Depressionen, Psychosen, …)? Noch größere Dimensionen nehmen Todesfälle durch Alkohol (77.000 Tote jährlich) und Tabak (110.000 Tote) an. Interessant sind diese beiden Beispiele, weil sie durchkommerzialisiert sind und gewichtige ökonomische, individuelle und gesellschaftliche Interessen miteinander konkurrieren. Im Mittelpunkt steht der freiwilligen „Genuss“ (daher auch nur bedingt vergleichbar mit den Risiken einer Virusinfektion. Aber in der Konsequenz geht es auch dabei um Leben und Tod und wie sich eine Gesellschaft in Form von rechtlichen Vorgaben oder ethischen Orientierungen zu dem Phänomen stellt, oder ob sie indifferent bleiben könnte. In Anlage 3 werden nur beispielhaft einige gesellschaftliche Rahmenbedingungen für Alkohol und Tabak zusammengefasst (Marktvolumen, Gesundheitskosten, Steuereinnahmen). Die Sterbestatistik wird Rückschlüsse darauf zulassen, wie sich die Coronakrise auf das Sterbegeschehen durch Drogen und anderen Substanzen ausgewirkt haben wird.
Sterbefälle für die 20 häufigsten Todesursachen absolut.
Diese Tabelle bezieht sich auf:
Jahr: 2017, Region: Deutschland, Alter: alle Altersgruppen, Geschlecht: Insgesamt, TOP: 20, Art
der Standardisierung: Standardbevölkerung "Deutschland 2011" Info
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Jahresdurchschnitt |
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Wochen- |
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Woche vom |
Woche vom |
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durchschnitt |
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23.-29. März |
13.-19. April |
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(2017) |
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(2017) |
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2020 |
2020 |
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ICD10 |
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Altersstan- |
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dardisierte |
Sterbefälle |
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Sterbefälle |
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Sterbefälle |
Sterbefälle |
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Sterbeziffer |
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Covid-19 |
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(Coronavirus SARS- |
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0 |
0 |
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0 |
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334 |
1.621 |
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CoV-2) |
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Alle angezeigten ICD- |
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545,9 |
504.223 |
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? |
? |
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Positionen |
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9.697 |
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Alle ICD-Positionen |
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1.017,3 |
932.272 |
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17.928 |
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? |
? |
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Summe ähnlicher |
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114.310 |
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2.198 |
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? |
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Vergleichsdiagnosen |
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Diagnose |
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I25 Chronische |
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ischämische |
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81,6 |
76.929 |
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? |
? |
Herzkrankheit |
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1.479 |
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C34 Bösartige |
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Neubildung der |
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52,2 |
45.031 |
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? |
? |
Bronchien und der |
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Lunge |
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866 |
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I21 Akuter |
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51,6 |
46.966 |
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? |
? |
Myokardinfarkt |
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903 |
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F03 Nicht näher |
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40,4 |
39.459 |
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? |
? |
bezeichnete Demenz |
|
759 |
||||
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I50 |
|
39,5 |
38.187 |
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? |
? |
Herzinsuffizienz |
|
734 |
||||
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J44 Sonstige |
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chronische obstruktive |
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35,9 |
32.104 |
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? |
? |
Lungenkrankheit |
|
|
|
617 |
|
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|
|
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|
I11 Hypertensive |
|
25,1 |
24.552 |
|
? |
? |
Herzkrankheit |
|
472 |
||||
|
|
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I48 Vorhofflattern |
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21,8 |
20.982 |
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? |
? |
und Vorhofflimmern |
|
404 |
||||
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C50 Bösartige |
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Neubildung der |
|
21,0 |
18.588 |
|
? |
? |
Brustdrüse [Mamma] |
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357 |
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R99 Sonstige |
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ungenau oder nicht |
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20,7 |
18.062 |
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? |
? |
näher bezeichnete |
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Todesursachen |
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347 |
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Neubildung des |
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20,5 |
18.005 |
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? |
Pankreas |
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346 |
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J18 Pneumonie, |
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Erreger nicht näher |
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20,2 |
19.113 |
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? |
bezeichnet |
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368 |
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C18 Bösartige |
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17,5 |
15.715 |
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? |
Neubildung des Kolons |
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302 |
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E14 Nicht näher |
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16,1 |
14.925 |
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bezeichneter Diabetes |
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mellitus |
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287 |
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I63 Hirninfarkt |
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16,0 |
14.864 |
286 |
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? |
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C61 Bösartige |
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Neubildung der |
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X |
X |
X |
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Prostata |
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I64 Schlaganfall, |
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nicht als Blutung oder |
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13,2 |
12.587 |
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Infarkt bezeichnet |
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242 |
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I69 Folgen einer |
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zerebrovaskulären |
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13,1 |
12.271 |
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Krankheit |
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236 |
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G20 Primäres |
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11,9 |
11.050 |
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Parkinson-Syndrom |
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213 |
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C80 Bösartige |
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Neubildung ohne |
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11,8 |
10.515 |
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Angabe der |
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Lokalisation |
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202 |
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(unbearbeitetes Original als Quellennachweis: http://www.gbe-bund.de/oowa921-install/servlet/oowa/aw92/dboowasys921.xwdevkit/xwd_init?gbe.isgbetol/xs_start_neu/&p_aid=3&p_a id=52300294&nummer=517&p_sprache=D&p_indsp=-&p_aid=43971634)
5.4 Elemente einer Plausibilitätsprüfung für die Auswirkungen einer Wirtschaftskrise auf die Pflege
Die Analyse von besonders gefährdeten Menschen, offenbart ein Profil: hohes Alter, schwere Erkrankungen, Pflegebedürftigkeit, erkennbar kurz vor dem Lebensende stehend.
Um den potentiellen Schaden für diese Zielgruppe durch einen starken und länger anhaltenden Konjunkturrückgang überschlagsweise einschätzen zu können, kann beispielhaft die Entwicklung des Gesundheits- und Pflegesystems unserer Gesellschaft einer historischen Betrachtung unterzogen werden.
Unsere Gesellschaft hat über die letzten Jahrzehnte einen hohen Anteil ihrer volkswirtschaftlichen Überschüsse für die Ausweitung eines Systems investiert, mit dem das Leben ihrer Mitglieder erheblich verlängert werden konnte. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Bevölkerung in DEU stieg von 1950 bis heute um 13 bis 14 Jahre. Das ist ein Geschenk, das unsere Gesellschaft der älteren Generation gemacht hat. Es hat sich gleichsam ein geltender Standard herausgebildet, der im Bewusstsein der Bevölkerung zu einem Besitzstand geworden ist, hinter den niemand zurückfallen möchte.
Ein bedeutendes Element ist die Optimierung des Pflegesektors über die letzten Dekaden. Es ist schwer einzuschätzen, wie groß der Anteil der gestiegenen Lebenserwartung ist, der auf die aufwendigere Pflege entfällt, aber über die volkswirtschaftlichen Dimensionen des Pflegesektors liegen gute Informationen vor.
Ich habe die Pflegebranche exemplarisch herausgegriffen und die zentrale Daten und Rahmenbedingungen in Anlage 4 aufbereitet.
Zusammenfassende Kurz-Info zu Pflegebranche und Pflegemarkt:
Marktvolumen: heute 50 Mrd. Euro, bis 2030 sollen es 84 Mrd. Euro sein
(in einem wachstumsreduzierten Szenario nach Roland Berger: 64 Mrd.
Euro in 2030)
Beschäftigte: heute 1,2 Mio. (= 3,6 % aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten), bis 2030 sollen es 20 % mehr sein
Pflegebedürftige: heute 3,5 Mio. Menschen, in 2030 voraussichtlich 4,1 Mio., in 2050 voraussichtlich 5,3 Mio.
Was geschehen soll, wenn diese Überschüsse irgendwann nicht mehr zur Verfügung stehen oder sogar Defizite auflaufen, wurde nie vereinbart. Aber es liegt auf der Hand: die Ausgaben und Leistungen werden reduziert werden müssen, die Versorgung wird schlechter, die Lebenserwartung wird sinken.
Eine große Wirtschaftskrise, ausgelöst durch die Coronakrise (oder: durch die Fehler im Krisenmanagement der Coronakrise), wird diese Situation noch schneller eintreten lassen, als ohnehin schon zu befürchten war. Die Diskussionen darüber werden in Kürze auf unsere Gesellschaft zukommen. Der Aufwand für Pflege wird künftig viel mehr als heute in scharfe
Konkurrenz geraten zu Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft, die Förderung von wirtschaftlich verwertbaren Innovationen und die Qualifizierung des Humankapitals, das in DEU (bezogen auf den Schüler-Nachwuchs) aufgrund begrenzter natürlicher Qualitäten (im Vergleich zu anderen Weltregionen) ganz besonderer Hege und Pflege bedarf.
In einer weiteren Stufe meiner Plausibilitätsprüfung gelange ich zu weiteren Widersprüchen, die es mir stark erschweren, Prognosen in meinem Verantwortungsbereich, dem Schutz Kritischer Infrastrukturen, anzustellen:
Es werden zwar weitreichende Einschränkungen bezüglich des Kontaktes zwischen den Menschen und deren Freizügigkeit / Bewegungsfreiheit vorgenommen, von diesen werden jedoch so zahlreiche Ausnahmen zugelassen, dass angesichts der offenkundig starken Ansteckbarkeit der Krankheit die beabsichtigte Wirkung der Einschränkungen nicht erzielt werden kann. Gleichwohl bleiben die Einschränkungen, die schwerwiegende negative Auswirkungen auf unsere Gesellschaft haben, weiter in Kraft. Zwar kann ich die Gründe für die Ausnahmeregelungen gut nachvollziehen, komme aber trotzdem nicht umhin festzustellen, dass die eigentliche Regelung dadurch nivelliert wird.
Dem wird ein Entscheidungsprozess vorangegangen sein, bei dem mit Sicherheit auch die grundsätzliche Gefährlichkeit der Infektion berücksichtigt wurde. Wenn die jeweiligen Entscheider von einer hohen Gefährlichkeit und insbesondere von einer leichten Übertragbarkeit ausgegangen wären, hätten sie umfangreiche und zudem schwer überprüfbare Ausnahmen in diesem Umfang nicht zulassen dürfen. Wenn die Entscheider von einer geringen Gefahr ausgegangen wären, hätten sie Einschränkungen insgesamt aufheben müssen, um den Schaden zu begrenzen, der durch die Schutzmaßnahmen entsteht und täglich aufwächst.
5.5 Ansätze einer Plausibilitätsprüfung aus Perspektive der Bevölkerungsentwicklung
Es kann nach drei Schadensklassen und Arten von Schutzgütern zu differenziert werden: nach materiellen Schäden, nach Schäden durch das Sterben von Menschen und Schäden durch den Verlust von Lebens(zeit)erwartung.
Alleine aus dem BMI unmittelbar verfügbaren Ressourcen ist es möglich, Vergleichszahlen zu überschlagen. Als Basis meiner folgenden Einschätzungen dienten die öffentlich zugänglichen Wissensbestände des BiB (Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, dem BMI nachgeordnete Behörde).
Das zusammenfassende Ergebnis meiner nachfolgenden Analyse: Eine starke Wirtschafts- und Gesellschaftskrise mit eine negativen Entwicklung des BIP um 8 bis 10 Prozent im ersten Jahr, in der das Wohlstandsniveau längerfristig sinkt, wird nicht nur die Lebensqualität senken, sondern auch die Lebenserwartung der Bevölkerung. Am 24. April 2020 warnte EZB-Präsidentin Christine Lagarde die Staats- und Regierungschefs der EU
(https://www.fondsprofessionell.de/news/zahl-tweet-des-tages/headline/zahl-des-tages-15-prozent-197155/) vor einem Einbruch um bis zu 15 Prozent. Wie stark die Effekt sein wird, und somit die Größe/Bedeutung der Gefahr, die von ihm für die Bevölkerung ausgeht, kann nur geschätzt werden - wie auch bei der Erhebung der Gesundheitsgefahren durch den Coronavirus. Als Kriterium für eine quantitative Schätzung habe ich die Steigung der Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten in Korrelation mit der Wohlstandsentwicklung heran gezogen. Demnach könnte befürchtet werden, dass durch die bereits bis heute aufgelaufenen Regierungsmaßnahmen in der Coronakrise potentielle Lebenszeit im Umfang von bis zu mehreren Millionen Lebensjahren der Bevölkerung Deutschlands vernichtet wurde.
Dieser Befund wurde von mir mit relativ einfachen Mitteln und sicherlich recht grob erhoben. Es ist dringend erforderlich, die von mir skizzierten Wirkungszusammenhänge von Experten z.B. des BiB kurzfristig klären und erläutern zu lassen. Das Krisenmanagement der BReg kann nur dann einen Abgleich von Gefahren vornehmen, wenn für die beiden aktuell drohenden Gefahren – die Gefahr an Corona schwer zu erkranken und daran zu sterben, sowie die nunmehr eintretende Wirtschafts- und Gesellschaftskrise mit ihren lebensverkürzenden Effekten – ausreichend Informationen und Daten zur Verfügung eingeholt werden. Es gilt, ein bisheriges Versäumnis auszugleichen.
Einzelaspekte:
Bevölkerungsforschung - aktuell, Heft 4 aus 2010
2010 wurde vom BiB ermittelt (Bevölkerungsforschung - aktuell, Heft 4 aus 2010), dass die längere Lebenserwartung positive auf die erwachsenen Kinder der Alten haben bis diese zwischen 50 und 60 Jahren sind. Dann dreht sich der Effekt um: Die (erwachsenen) Kinder werden stärker belastet durch die Pflege der Eltern.
Fazit: Wenn die Lebenserwartung sinkt, können jüngere Menschen, die im Arbeitsleben einer Volkswirtschaft höchste Bedeutung haben, weil sie die Wirtschaftsleistung (Wertschöpfung einer Gesellschaft) tragen und für die Innovationen zuständig sind, weniger durch unterstützende und mithelfende Eltern entlastet werden, und werden früher als heute mit den Belastungen der Pflege ihrer Eltern belastet. Sie werden dadurch über ihre aktive Lebensarbeitsphase tendenziell weniger leisten können als heute, also weniger zum Steueraufkommen beitragen und das Wohlstandsniveau unserer Gesellschaft schlechter absichern können.
Entwicklung der Lebenserwartung in Deutschland 1960–2010 https://de.wikipedia.org/wiki/Lebenserwartung
https://www.bib.bund.de/DE/Fakten/Fakt/S37-Lebenserwartung-Alter-65-Geschlecht-West-Ost-ab-1958.html?nn=9992060
Wohlstand Deutschlands 1950–2008 gemessen am BIP pro Kopf in €
https://de.wikipedia.org/wiki/Wohlstand
Selbst wenn man berücksichtigt, dass Wohlstand eine schwer messbare Größe ist und unterschiedliche Messmethoden und Interpretationen möglich sind (siehe unten, Der Spiegel), besteht keine Zweifel daran, dass im Laufe der Zeit immer mehr Ressourcen für Maßnahmen aufgewendet wurden, die der Verlängerung der durchschnittlichen Lebenserwartung dienten. Das Wirtschaftswachstum der letzten Jahrzehnte, dass nun massiv einzubrechen droht, machte das möglich.
„Geld ist nicht alles: Während das Bruttonationaleinkommen der Deutschen in den vergangenen 15 Jahren meist stieg, schwankte der Nationale Wohlfahrtsindex erheblich. In zwei unterschiedlichen Varianten fasst dieser insgesamt 21 Indikatoren zusammen - von der Luftverschmutzung über den Alkohol- und Drogenmissbrauch bis zum Wert der Hausarbeit.“
SPIEGEL ONLINE aus Der Spiegel, 2.4.2012
https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/wie-misst-man-wohlstand-kritik-am-bruttoinlandsprodukt-bip-a-824877.html
Bevölkerungsforschung - aktuell, Heft 5 aus 2011
In einem Beitrag (Bevölkerungsforschung - aktuell, Heft 5 aus 2011) wurde dargelegt, dass sich im Zuge der Erhöhung der Lebenserwartung auch die Phase kurz vor dem Tod, in dem gesundheitliche Einschränkungen bestehen und die Lebensqualität schlecht bis sehr schlecht ist, verringert. Den Menschen geht es länger gut. Eine einzelne neuere Studie konnte diese Aussage aufgrund sehr spezieller Datengrundlage zwar nicht bestätigen, dennoch gingen die Autoren des BiB in 2011 von der Wirksamkeit der sogenannten „Kompression der Morbidität“ aus.
Fazit: Wenn die Lebenserwartung sinkt, wird das möglicherweise dazu führen, dass die Menschen im Alter mehr Leid erleben werden und diesem Zustand länger ausgesetzt sein werden als heute (wo sich dieser Zustand vergleichsweise auf kürzere Zeit komprimiert).
x In einem zweiten Beitrag des gleichen Heftes wird dargelegt, dass Generationenkonflikte zwischen Alt und Jung nicht so stark sind und sein werden, wie von vielen befürchtet. Als Gründe werden drei Annahmen genannt: Die Zustimmung dazu, dass die Alten zu versorgen sind, ist in der Gesellschaft sehr groß. Außerdem seien die Interessenlagen der Alten zu heterogen, als dass es zu einem einheitlich, homogenen Interessen der ganzen Kohorte kommen würde. Auch die relativ engen Verbindungen in den Familien sprächen für geringe Konfliktrisiken, denn die führten dazu, dass die gegenseitige Unterstützung und Rücksichtnahme relativ stark ausgeprägt sind.
Fazit: Im Falle einer geringeren Lebenserwartung und schlechterer Wirtschaftskraft ist
m.E. mit erheblichen Veränderungen zu rechnen: Die Belastung der jüngeren, arbeitenden Bevölkerung nimmt zu, was das Verständnis der arbeitenden Bevölkerung für die Notwendigkeit der Mitversorgung der älteren Generationen auf eine Probe stellen wird. Der Wettbewerb von Betroffenengruppen um Anteile aus den Sozialletats wird zunehmen, weil das zu verteilende Gesamtvolumen sinken wird.
Viel wird von der Solidaritätsbereitschaft der Bevölkerung abhängen:
Zitat aus dem Fazit des Artikels (es geht darum, wie stabil die Generationensolidarität ist und wovon sie abhängt): „Dennoch ist die wohlfahrtsstaatliche Generationensolidarität in Zeiten des demografischen Wandels und fiskalischer Austeritätszwänge kein Selbstläufer. Die Solidaritätsbereitschaft zwischen den Generationen hängt zukünftig auch davon ab, dass die Politik die gemeinsamen Interessen von Jung und Alt betont und eine spalterische Rhetorik vermieden wird (Streeck 2009: 9). Darüber hinaus gilt es, auch im Kontext wohlfahrtsstaatlicher Reformen – und das heißt mithin in Zeiten sozialpolitischer Einschnitte – diese Solidaritätsbereitschaft zu bewahren und ihre Basis nicht zu zerstören.“
Ob unter den harten Realbedingungen einer massiven Wirtschafts- und Gesellschaftskrise, sowie bei abgesenktem Wohlstandsniveau, Werbekampagnen der Regierungen in den Medien zur Erhörung der generationenübergreifenden Solidarität in der Gesellschaft (wie sie heute vielfach bei vergleichbaren Anlässen unter Berufung auf und Betonung von ethischen Normen gefahren werden) noch beitragen können, erscheint fraglich. Vielleicht werden sie von der Bevölkerung eher als Zynismus empfunden, durch den sich ihr Ohnmachtsgefühl eher noch verstärkt.
Funktionieren wird das vielleicht noch so lange, wie der Staat zum Füllen der Renten-und Sozialkassen zusätzliche Schulden machen kann. Denn staatliche Transfers sind offenbar so etwas wie Anschubfinanzierungen und Motivator für das Praktizieren privater Solidarität:
„Öffentliche Transfers bilden die Grundlage für private, innerfamiliäre Transferleistungen zwischen den Generationen, und insbesondere für die Armen unter den Älteren besteht das Risiko einer verringerten Einbindung in familiäre Zusammenhänge aufgrund geringer Ressourcen (Szydlik 2008: 18). Daher besteht nicht zuletzt im Interesse der Generationensolidarität auch in Zukunft die Notwendigkeit einer Renten- und Sozialpolitik, die die ärmeren Sozialschichten berücksichtigt und ihnen eine vollwertige Teilhabe am sozialen Austausch ermöglicht.“
Bevölkerungsforschung - aktuell, Heft 5 aus 2013
In einem Beitrag aus 2013 wird Bezug genommen auf das „Dritte Alter“, in dem die
Menschen trotz fortgeschrittenen Lebensalters eine hohe Autonomie und Lebensqualität erfahren.
„Alternsforscher bezeichnen den Lebensabschnitt zwischen dem Eintritt in den Ruhestand und dem Beginn dauerhafter Einschränkungen in Folge von Krankheiten, die eine Abhängigkeit von anderen Menschen begründen, als „Drittes Alter“. Es handelt sich um eine relativ neue Lebensphase, die sich in Deutschland seit der Mitte des 20. Jahrhunderts im Zuge der allgemeinen Lebensverlängerung herausbildete.“
(Bevölkerungsforschung - aktuell, Heft 5 aus 2013, Seite 2)
Gesellschaftliche Veränderungen werden diese Phase verkürzen, wenn die Leistungen des Gesundheitswesens und der Sozialversorgung aufgrund starken Geldmangels und Wohlstandsverlusts der Gesellschaft zurück gefahren werden müssen.
Bevölkerungsforschung - aktuell, Heft 6 aus 2015
Beitrag (Bevölkerungsforschung - aktuell, Heft 6 aus 2015).
Aus dem Vorwort: „Zu den großen Errungenschaften moderner Gesellschaften gehört der bemerkenswerte Anstieg der Lebenserwartung. Verantwortlich für diese Entwicklung ist neben dem Wachstum des Wohlstands und der Zunahme gesunder Lebensweise auch die medizinische Versorgung.“
Fazit: Das bedeutet umgekehrt, dass eine Schrumpfung des Wohlstands zu einer geringeren Lebenserwartung führen wird. Durch die von den Schutzmaßnahmen ausgelöste Wirtschafts- und Gesellschaftskrise verlieren die Mitglieder unserer Gesellschaft Lebensjahre. Da der Zuwachs der Lebenserwartung innerhalb der letzten 50 Jahre bei über zehn Jahren liegt (sowohl bei Frauen, als auch bei Männern, als auch bei ), muss davon ausgegangen werden, dass für den Fall eines Rückfalls auf das Wohlstandsniveau des Jahres 2000 oder gar des Jahres 1980 mit einem Verlust von mindestens einer Größenordnung von mehreren Millionen Lebensjahren für unsere Gesellschaft auszugehen ist.
5.6 Exkurs Lebensqualität im Alter und Sterblichkeit
(Quelle: Methoden und Grundlagen des Lebenslagenansatzes, ZeS (Zentrum für Sozialpolitik) der Uni Bremen, Wolfgang Voges, Olaf Jürgens, Andreas Mauer, Eike Meyer, Endbericht , November 2003, zum Download auf der Internetseite des BMAS: http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/forschungsprojekt-a350-methoden-und-grundlagen-des-lebenslagenansatzes.pdf?__blob=publicationFile)
Lebensqualität im Alter ist u.a. von dem Renteneintrittsalter abhängig. Durch die Notwendigkeit länger arbeiten zu müssen, verringert sich folglich die Lebensqualität.
„Im letzten Drittel der Erwerbsphase wird Personen erst richtig bewusst, dass Lebenszeit ist ein knappes Gut ist. Vor diesem Hintergrund sind sie an einem möglichst frühen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben interessiert, um sich nicht mehr den Zwängen belastender Erwerbsarbeit unterwerfen müssen.“ (Seite 145)
Der vorzeitige Ausstieg aus dem Arbeitsleben ist nur auf eine Interessenlage zurück zu führen, sondern korrespondiert mit den Belastungen des Arbeitslebens.
„Die Wahrnehmung von Arbeitsanforderungen als Belastungen resultiert häufig aus abnehmenden individuellen Leistungsvermögen sowie nicht mehr ausreichenden Ressourcen, um sich die aus der Arbeitstätigkeit ergebenden erhöhten Beanspruchung ausgleichen zu können. Von den Arbeitnehmer in der Spätphase des Erwerbslebens, die über ernste Symptome körperlicher und geistiger Erschöpfung klagen, hatten vier Fünftel in Erwägung gezogen, vorzeitig aus dem Erwerbsleben auszuscheiden und Rente zu gehen (Voges 2003c).
Ein Fünftel aller Rentner scheidet wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vorzeitig aus dem Erwerbsleben (VDR 2001). Bei nahezu zwei Dritteln dieser Frührentner handelt es sich um vormalige Arbeiter. Dagegen kommt mehr als die Hälfte der Frührentnerinnen aus dem Angestelltenbereich. In neun von zehn Fällen liegt eine Krankheit vor und nur bei jedem Zehnten ein Unfall.“ (Seiten 145-146)
Der Anteil vorzeitiger Aussteiger aus dem Arbeitsleben ist seit längerem relativ hoch (im vorherigen Zitat wurden Zahlen von 2001 berücksichtigt). Bei einem stärkeren Wettbewerb und zunehmender Belastung auf dem Arbeitsmarkt ist damit zu rechnen, dass diese Zahl weiter steigen wird. Möglicherweise muss in der Not trotzdem weiter gearbeitet werden, was allerdings zu einer geringeren Lebenserwartung führen wird.
Selbst bei Frühverrentungen nach dem heutigen System (bei stabilem Wohlstand), hatten die Betroffenen durchschnittlich schneller stark beeinträchtigende gesundheitliche Probleme, als die länger arbeitenden.
„Ein früher Übergang aus dem Erwerbsleben in den Ruhestand bedeutet daher keinesfalls, dass sich dadurch ein unbeschwertes Rentnerdasein mit besseren Lebenschancen eröffnet. Die Realität zeigt vielmehr, dass die Chancen dafür je nach Verrentungszeitpunkt im Lebensverlauf höchst unterschiedlich verteilt sind. Von den GEK-Versicherten werden 5 % mit 55 bis 57 Jahren, 38 % mit 58 bis 60 Jahren, 44 % mit 61 bis 63 Jahren und nur 13 % mit 64 bis 66 Jahren verrentet. Die gesundheitlichen Beschwerden führen dazu, dass bei den im Alter von 55 bis 57 Jahren Verrenteten Pflegebedürftigkeit früher im Lebensverlauf auftritt als bei denen, die zu einem späteren Zeitpunkt aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Von diesen Frührentnern ist bereits bei Rentenbeginn mehr als ein Prozent pflegebedürftig.“ (Seite 146)
Ihre Pflegebedürftigkeit tritt schneller ein und belastet die Gesundheits- und Sozialsysteme.
Ihr Sterblichkeitsrisiko steigt stark an.
„Nach fünf Jahren ist der Anteil nur geringfügig angestiegen, da ein großer Teil der pflegebedürftigen inzwischen verstorben ist. Ein Fünftel der mit 55 bis 57 Jahren Verrenteten ist zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben. Ein Vergleich mit den im Alter von 58 bis 60 Jahren, 61 bis 63 Jahren und 64 bis 66 Jahren Verrenteten zeigt, dass das Pflegerisiko für diese Rentner deutlich unter einem Prozent liegt. Auch das Sterblichkeitsrisiko reicht mit 5 bis 6 % kaum an das der 55 bis 57jährigen Frührentner heran (Voges 2003c).“
Trivial erscheint die Erkenntnis, dass die Vulnerabilität von Rentnern - und damit ihre Lebensqualität - von ihrem Gesundheitszustand abhängt.
„Die gesundheitlichen Probleme erhöhen auch die Vulnerabilität der Lebenslage von Rentnern.“ (Seite 147) Auswertung der Erfassung von Daten, die für Gefährdungsbewertungen und Entscheidungen über Maßnahmen herangezogen wurden
Als Datenquelle für die Gefährdungseinschätzung stehen dem Krisenmanagement zur
Verfügung:
täglich aktuelle Meldungen und Analysen des gemeinsamen Krisenstabs von BMI und BMG (diese werden vom Robert-Koch-Institut zusammengestellt und fokussieren die gesundheitliche Lage; seit kurzem ergänzt durch einzelne Bausteine aus anderen Sicherheitsrelevanten Bereichen wie z.B. BW, Extremismus)
Meldungen des internen BMI-Lagedienstes (herausgegeben vom Lagezentrum des BMI und basieren gleichfalls auf den RKI Aufbereitungen)
Lagedienst Innere Sicherheit (herausgegeben vom Lagezentrum des BMI und basieren gleichfalls auf den RKI Aufbereitungen)
Berichte und Lageberichte des Cyber-Abwehrzentrums (Cyber-AZ)
Berichte und Lagemeldungen des BSI (unterschiedliche Formate auf Tages-, Wochen und Monatsbasis)
Lageberichte des BBK zum Status in Kritischen Infrastrukturen
Lageberichte des Gemeinsamen Melde- und Lagezentrums von Bund und Ländern (GMLZ)
Die vorgenannten Aufbereitungen sind nicht für die Allgemeinheit bestimmt, sondern einem begrenzten Kreis von Menschen zugänglich, insbesondere denen, die mit dem Krisenmanagement in der Coronakrise befasst sind (Bundes- und Länderebene). Die Aufbereitungen unterliegen einer besonderen Vertraulichkeit (VS – nur für den Dienstgebrauch) und dürfen nicht nach außen gegeben werden. Den Aufbereitungen liegen jedoch Daten zugrunde, die überwiegend gleichzeitig veröffentlicht werden (siehe die öffentlich zugänglichen Lageberichte des RKI auf dessen Website).
Einige der genannten Quellen wurden im Rahmen dieser Arbeit exemplarisch analysiert auf Verwertbarkeit für die Gefahrenerkennung und für die Gefahrenerkennung im Bereich der Kritischen Infrastrukturen.
6.1 Auswertung der BMI Lageberichte (bis 7. April 2020)
Verteiler: BMI-Lageberichte: intern BMI; Lageberichte Innere Sicherheit: ChBK, AA, BMF, BMJV, BMVg, BMAS, BMEL, BMG, BMU, BMVI, BMZ, BMWi, BPA, BPrA, BT, Alle IM, BAMF (LZ), BBK, GMLZ, BDBOS, BfV, BKA Wiesbaden, BKA Berlin, BKA Meckenheim, BPOLP, BSI, THW, BND, ZKA, DHPol, GBA
In den Lageberichten des BMI (und wortgleich in den Lageberichten Inneres Sicherheit), die die Grundlage für Bewertungen und Entscheidungen des Krisenmanagements bildeten, wurden folgende Daten zur Beschreibung der potentiellen Gefahren des Covid-19 Virus erfasst. In der ersten Phase, wurden vor allem zwei Werte erfasst und deren Ableitungen (Zunahme, später Umrechnung auf je 100.000 Bevölkerung, …):
Zahl der positiven Testungen (wurden als Infizierte oder Fälle ausgegeben)
Zahl der Verstorbenen
Eine Übersicht der Daten enthält die folgende Tabelle:
Die Auswertung der vorstehenden Daten offenbart:
Die Berichterstattung war teils lückenhaft.
Die Berichtskategorien veränderten sich mehrfach, teilweise wurden frühere wieder aufgegriffen.
Die Daten widersprachen sich teilweise (Stagnation von Entwicklungen, rückläufige (!)
Gesamtzahl von Todesfällen, …).
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Die Daten der Lageberichte waren für die Einschätzung der Gefahr, die von dem Coronavirus ausgehen, nicht geeignet (siehe die anderen Kapitel dieses Berichts). Die Gefahren, die real von dem Virus für die Bevölkerung Deutschlands ausgeht, konnte damit nicht erfasst werden.
Auch die internationalen Zahlen wurden ohne Beachtung des jeweils spezifischen nationalen Kontextes in die Berichte eingebunden und haben durch die Aufnahme in die Berichterstattung im Krisenstab indirekt Handlungsdruck erzeugt. Es wurde immer gerade über die Länder berichtet, in denen spektakuläre Spitzen zu beobachten waren. Eine verallgemeinerbare Erkenntnis konnte daraus nicht gewonnen werden. Entlastende Daten wurden nicht aufgenommen, obwohl auch sie öffentlich verfügbar waren (z.B.: https://swprs.org/covid-19-hinweis-ii/#latest).
Im Gegenteil: Trotz überhöhter Angaben über Coronatote wurde erkennbar, wie gering die Gefahr gegenüber alltäglichen gesundheitliche Risiken (wie einer Influenzawelle) tendenziell stets war (siehe die blaugedruckte Vergleichszahl in der untersten Zeile der Tabelle.
Die Zuschlagung von jeglichen Verstorbenen, die infiziert waren, zu den Zahlen für Coronatote führte (und führt weiterhin) zu einer Verzerrung bei der Wahrnehmung des Sterbegeschehens und verhindert unter anderem auch, dass die Folgen der Kollateralschäden diesen auch zugeordnet werden können. Sie blieben somit statistisch unsichtbar. – Beispiel: Eine Person, die keiner gefährdeten Gruppe angehört, und die trotz Infektion nicht an Covid-19 erkrankte, stirbt, als ihre fest eingeplante Herz-OP wegen Absage der Klinik nicht erfolgen kann an den Herzproblemen; diese Person würde nicht als Opfer der Schutzmaßnahmen, sondern als Opfer der Virusinfektion gezählt. Die Aussagen der Statistik stellen die wahren Verhältnisse in diesem Fall auf den Kopf
Diese hochproblematische Zählweise und Zählverfahren zur Dokumentation von Coronatoten, die vom RKI bereits Anfang März 2020 eingeräumt wurden, führen bis heute zu einer Verfälschung und Manipulation der Daten, da sie die Auswirkungen der Schutzmaßnahmen maskieren und geeignet sind zu verhindern, die beiden zentralen Gefahren für unsere Gesellschaft (Gefahren durch Krankheit, Gefahren durch Schutzmaßnahmen) im Vergleich bewerten zu können. In dieser Verfälschung von elementaren Schlüsseldaten ist der Grundstein zu falschen Entscheidungen zulasten der Bevölkerung gelegt.
Fazit: Die Berichterstattung in den Lageberichten des BMI war für die Einschätzung der ganzheitlichen Gefahrenlage, mit der unser Land konfrontiert ist, nicht brauchbar, weil sie sich ausschließlich mit gesundheitlichen Aspekten befassten. Ein Monitoring über Kollateralschäden fand nicht statt. Selbst die gesundheitlichen Daten waren nicht geeignet, um das Ausmaß der Gefahren für unserer Gesellschaft einzuschätzen, sie waren nicht differenziert genug, insbesondere nicht in den Kontext des Gesamt-
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Sterbegeschehens in unserem Land eingebettet. Die in den Berichten dokumentierten Daten waren aber nicht nur unbrauchbar, sondern verhinderten oder erschwerten durch einen Effekt, den ich beispielhaft in Punkt 7. erläutert habe (s.o.), eine Bestandsaufnahme von weiteren entscheidungsrelevanten Daten, die zudem (noch) nicht Gegenstand der Lageberichte sind. Abhängig von dem Ausmaß der Um-Etikettierung steht die Vermutung im Raume, dass die Daten des Entscheidungsprozesses des Krisenmanagements als manipuliert gelten müssen.
Ich selbst habe schriftlich mehrfach meine Vorgesetzten darauf hingewiesen und konkrete
Vorschläge dazu gemacht, welche aussagekräftigen Daten erhoben, bzw. von den Ressorts
eingefordert werden müssten (Anlage 5). Die Ausführungen enthalten auch umfassende
Erläuterungen zum Verständnis der Funktion der Daten für die Gefahrenbewertung und im
Krisenbewältigungsmechanismus, nicht nur im gesundheitlichen Bereich. Dem Krisenstab
lag ein Teil meiner Analysen und Anregungen/Vorschläge seit dem 23. März 2020 vor
(Anlage 6), eine „Politologische Analyse“ legte ich in erster Fassung am 27. März 2020 vor
(finalisierte offizielle KM 4 - Fassung vom 7. Mai 2020 in Anlage 8).
6.2 Auswertung des neuen Lagebildes des Krisenstabs von BMI und BMG (ab 8. April 2020)
Ab dem 8. April 2020 wurde die Berichterstattung über die aktuellen Coronadaten in den BMI-Lageberichten beendet. Es wurde verwiesen auf den gesonderten Lagebericht des Krisenstabs von BMI und BMG, der die Berichterstattung übernehmen sollte. Auch dieses neue Format befasst sich mit den gesundheitlichen Aspekten. Ein Monitoring über Kollateralschäden findet nicht statt.
Vorbemerkung
Daten werden gebraucht, um die Gefährlichkeit des Virus für die Bevölkerung in DEU zu ermessen. Hier ist die Geeignetheit der Lageberichte für diesen Zweck untersucht.
Ob die Gefahr so groß ist, dass gesonderte Schutzmaßnahmen zu treffen sind, und wie umfassend die Maßnahmen sein sollten, hängt davon ab, wie viele Personen, nach professioneller und sehr sorgfältiger Prognose, voraussichtlich zusätzlich zu den durchschnittlich zu erwartenden Todesfällen unserer Gesellschaft durch den neuen Virus sterben werden.
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Da auch Schutzmaßnahmen Nachteile und Risiken bergen, einschließlich Todesfällen, ist der Umfang von Maßnahmen durch Gegenüberstellung der Auswirkungen zu ermitteln (Auswirkungen ohne und mit Schutzmaßnahmen).
Kritische Anmerkungen (auf der Basis des Berichts vom 9.4.20)
Die Zahl der Fälle umfasst offenkundig Personen, bei denen der Virus nachgewiesen wurde, nicht die der erkrankten Personen und nicht die der bereits immunisierten. Durch eine folgenlose Infektion entsteht kein Schaden bei den Infizierten (ebenso bei leichten bis mittelschweren Krankheitsverläufen sowie Immunisierten). Zur Einschätzung der Gefahr wird primär die Zahl der an dem Virus so schwer Erkrankten benötigt, dass sie dadurch sterben könnten, denn das ist Gegenstand der Gefahr, die das Krisenmanagement des Staates von der Gesellschaft abzuwehren hat. Die Zahl der symptomlos Infizierten wird gesondert benötigt – zur Einschätzung von unterrangigen Teilgefahren (Infektionswahrscheinlichkeit). Zahlen eines aktuellen Berichtswesens sind nur wenn sie in diese beiden großen Blöcke differenziert werden, als handlungsrelevante Informationen von Bedeutung und können nur in dieser Zusammenstellung und im Kontext mit anderen Indikatoren zur Maßnahmenplanung verwertet werden.
Es wird die tägliche Zunahme der Zahlen übermittelt. Es fehlt jedoch die Zahl von im gleichen Zeitraum durchgeführten Tests, sowie der Anteil der Gründe für das Testen (wegen coronaspezifischen Beschwerden oder Krankheitszeichen, anderen
Verdachtsmomenten, als Nebenbefund einer anderen Untersuchung, anlasslos, …).
Daraus hätten u.a. Erkenntnisse über den Grad der Durchseuchung gewonnen werden können.
Todesfälle sind inzwischen offenbar eingegrenzt auf an dem Virus erkrankte Personen („2.107 Todesfälle in Zusammenhang mit COVID-19-Erkrankungen“). Es dürfte jetzt also keine Person mehr mitgezählt worden sein, die zwar den Virus trug, aber nicht an ihm erkrankt war. Ist das wirklich so? Kann man sich darauf verlassen?
Bei der Analyse der Fälle und der für die Einschätzung der Gefährlichkeit des Virus besonders wichtigen Todesfälle, wird zwar das Lebensalter statistisch ausgewertet, nicht jedoch der Zustand der Person („86% der Todesfälle und 16% aller Fälle sind 70
Jahre oder älter“). Bei der Einschätzung der Gefährlichkeit ist von besonderer
Bedeutung, wie groß der Anteil derer ist, die auch ohne Virusinfektion kurz vor dem Tod standen, bei denen der absehbar bevorstehende Tod mit keinem Mittel hätte
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verhindert werden können. Dazu werden für den betrachteten Zeitraum die Zahlen durchschnittlicher Sterbefälle benötigt (nach Todesursachen und ggf. Alter).
Es wird von Häufungen in Pflegeheimen und Krankenhäusern gesprochen („Es häufen sich Berichte über COVID-19-bedingte Ausbrüche in Alters- und Pflegeheimen sowie in Krankenhäusern. In einigen dieser Ausbrüche ist die Zahl der Verstorbenen vergleichsweise hoch.“). Damit war ein Hinweis auf eine extrem dominante Zielgruppe / Risikogruppe gegeben. Das hätte zwingend Anlass sein müssen, den vorhergenannten Aspekt zu überprüfen und eine spezifische Schutzstrategie zu entwickeln, sowie die allgemeinen Einschränkungen für die breite Bevölkerung zurück zu nehmen, bzw. dies zu empfehlen.
Zeitlicher Verlauf: Die Grafiken zum zeitlichen Verlauf: Es bleibt offen, ob die unterschiedliche Erfassungsarten zu Mehrfachzählungen des gleichen Falles führen können. Besser wäre eine Grafik gewesen, bei der (im Rückblick) die Fälle nach Ausbruch der Krankheit dargestellt würden (also der für den Prozess relevante Zeitpunkt) - gemacht wird in der Folgegrafik das Gegenteil, es wird gesondert nach Meldungstagen aufgeschlüsselt. Deutlich wird aus der ersten Grafik, dass die Fallzahlen bereits im Sinken waren, als die Maßnahmen beschlossen und umgesetzt wurden (Ende März 2020).
Demografische Verteilung: Hierbei wäre die Verteilung für die Todesfälle relevant (also die Zahlen für die größte Gefahr, vor der der Staat schützen soll), nicht die der Gesamtheit aller Infizierten (also auch aller dauerhaft symptomfreien). Dieser Teil des Berichts ist zweckfrei.
Klinische Aspekte: „Für 82.187 übermittelte Fälle liegen klinische Informationen vor.“
Analyseergebnisse dieser Stichprobe sind nicht auf die Gesamtzahl übertragbar, da nicht angegeben wird, wie viel Prozent der Toten auf diesen 75-prozentigen Anteil der Infizierten entfallen.
Im gleichen Abschnitt wird dann über die 2.107 Verstorbenen gesprochen, also geht es nicht mehr um die zu Beginn des Abschnitts eingeführten Fälle, für die medizinische Informationen vorlagen.
Unter Klinischen Aspekten werden weitere demografische Aspekte behandelt: „Der
Altersmedian liegt bei 82 Jahren, die Spanne zwischen 26 und 105 Jahren. Von den Todesfällen waren 1.819 (86%) Personen 70 Jahre und älter. Im Unterschied dazu beträgt der Anteil der = 70-Jährigen an allen übermittelten COVID-19-Fällen nur 16%.
– Es häufen sich in den letzten Tagen Berichte über COVID-19-bedingte Ausbrüche in Alters- und Pflegeheimen sowie in Krankenhäusern. In einigen dieser Ausbrüche ist die Zahl der Verstorbenen vergleichsweise hoch.“ Da diese Haupt-Zielgruppe/Risikogruppe offenbar die höchste Altersgruppe ist, auf die auch in normalen Zeiten der größte Anteil von üblicherweise Versterbenden in DEU entfällt (jährlich etwa 920.000 in DEU), hätten hier weitere Differenzierung angestellt werden
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müssen, um für das Krisenmanagement verwertbare Daten zu gewinnen – also Daten, die wirklich zweckgerichtete Maßnahmen ermöglichen (s.o.).
Die Reproduktionszahl ist ein Abstraktum, das nicht ausreichend erklärt wird. Als Krisenmanager kann ich nicht erst einem angegebenen Link folgen und mich in eine wissenschaftliche Methodik einarbeiten, bevor ich meine Arbeit fortsetze. Ein Krisenmanagement kann damit nicht viel anfangen. Diese Zahl in dem Bericht aufzuführen, dient nicht der besseren Orientierung, sondern der Verwirrung des Krisenmanagements. Das gilt insbesondere, da diese Zahlen ohnehin als unsicher beschrieben werden und/oder auf Zahlen beruhen, die ebenfalls unsicher sind.
Daten zu den Intensivbetten sind unzuverlässig, weil das Erfassungssystem umgestellt wurde. Informativ wäre den Auslastungsgrad der verfügbaren Kapazitäten auf einen Blick zu sehen.
„Ergebnisse aus weiteren Surveillance-Systemen des RKI zu akuten respiratorischen Erkrankungen“: Mit den aufwendigen Schutzmaßnahmen verbreiteten sich – wie zu erwarten war – auch alle möglichen anderen Krankheiten. „Die kontaktreduzierenden
Maßnahmen, die in ganz Deutschland durchgeführt werden, haben scheinbar deutlich zur Reduktion der Übertragung akuter Atemwegserkrankungen beigetragen.“ – Diese Information ist unvollständig und muss in handlungsrelevante Aussagen umformuliert werden, etwa so: „Durch die sozialen Isolations- und Distanzierungsmaßnahmen wurden Erkrankungen nicht aufgehoben, sondern aufgeschoben.“ Es fehlen Angaben oder Prognosen für die Alternativstrategie der schnellen Durchseuchung. Diese Informationen sind unvollständig und somit für die Entscheidungsfindung über Maßnahmen irrelevant, solange Schlüsseldaten nicht vorliegen - z.B. zum gegenwärtigen Durchseuchungsgrad und zur Abgrenzung der gezielten Durchseuchungsstrategie.
Anmerkung zur Durchseuchung: Den Durchseuchungsgrad repräsentativ zu erheben dauert meiner Kenntnis nach zwischen 7 und 10 Tagen. RKI hat am 8. April angekündigt, Studien dazu zu starten. Es ist außerdem völlig unerklärlich (und ein schwerer technischer Fehler des Krisenmanagements), dass diese noch nicht durchgeführt wurden, insbesondere nachdem diese Studien seit Wochen öffentlich gefordert wurden.
Bei den komplizierten und verwirrenden Ergebnisse aus den Surveillance-Systemen des RKI ist nicht nachvollziehbar, was sie zu der Gefahreneinschätzung durch das Krisenmanagement beitragen können.
Risikobewertung durch das RKI: Diese Risikobewertung mag für eine ganz spezielle Sicht von Wissenschaftlern und Fachstatistikern nachvollziehbar sein. Für die Einschätzung der Gefahren, die von dem Virus für die Gesamtbevölkerung ausgehen, ist diese Bewertung des RKI nicht verwertbar:
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„Es handelt sich weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation.“ Damit ist nicht viel gesagt. Woran macht sich fest, dass die dynamische Situation ernst zu nehmen ist? Was genau bedeutet
„ernst nehmen“ in diesem Zusammenhang? Ob und wie ernst die Entwicklung genommen werden muss, entscheiden die Krisen-Manager, nicht die wissenschaftlichen Berater (denn die kennen offenbar die Abgrenzungsindikatoren für die gesellschaftliche Risikoermittlung nicht).
„Bei einem Teil der Fälle sind die Krankheitsverläufe schwer, auch tödliche
Krankheitsverläufe kommen vor.“ Für den bundesweiten Bevölkerungsschutz muss die zu erwartende Wirkung auf das gesamte Land betrachtet werden. Für das IT-Sicherheitsgesetz wurde bei vielen Sektoren/Branchen eine Betroffenheit von 500.000 Bürgern als relevante Größenordnung festgelegt. Dabei ging es zwar nicht um Menschenleben und Lebenszeit von Menschen, aber es wird deutlich, dass die Bewertung von Risiken, wie z.B. von tödlichen Krankheitsverläufen, immer von deren Menge in Bezug auf die Gesamtzahl abhängt.
„Die Zahl der Fälle in Deutschland steigt weiter an.“ Diese Aussage alleine führt zu keiner sinnvollen Erkenntnis für das Krisenmanagement (s.o.).
Bevölkerung von 80 Mio. Menschen hoch gefährdet ist – an der normalen Grippe sind in den letzten Jahren teilweise mehr als zehn Mal so viele Menschen gestorben, wie bisher dieses Jahr im Zusammenhang mit Corona verstarben. Wichtiger ist jedoch: Ohne Kenntnis der Zahlen von explizit anCorona verstorbenen und ohne Kenntnis des Durchseuchungsgrads der Bevölkerung können gar keine Aussagen zur Gefährdung der Bevölkerung gemacht werden!
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Todesfälle |
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Zusätzlich |
Todesfälle |
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Zusätzlich |
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durch |
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ergriffene |
durch |
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ergriffene |
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Influenza |
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Schutzmaßnahmen |
Corona |
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Schutzmaßnahmen |
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in 2017/18 |
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in 2020 |
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in DEU |
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25.000 |
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keine |
ca. 5.500 |
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umfassende |
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Maßnahmen; |
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zu einer schweren |
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Wirtschafts- und |
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Gesellschaftskrise |
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führend |
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weltweit |
1.500.000 |
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keine |
ca. 200.000 |
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differenzierte |
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(1,5 Mio.) |
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Maßnahmen; |
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unterschiedlich |
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ausgeprägt |
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„Die Wahrscheinlichkeit für schwere Krankheitsverläufe nimmt mit zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu. Diese Gefährdung variiert von Region zu Region.“ Das ist kein Alleinstellungsmerkmal für Corona, sondern trivial, so isoliert betrachtet ohne weiteren Erkenntnisgewinn.
„Die Belastung des Gesundheitswesens hängt maßgeblich von der regionalen
Ausbreitung der Infektion, den vorhandenen Kapazitäten und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen (Isolierung, Quarantäne, soziale Distanzierung) ab und kann örtlich sehr hoch sein.“ Das sind relative Aussagen und Trivialitäten, die für die Bewertung von Gefahren keine konkret messbaren oder überprüfbaren Anhaltpunkte bieten.
„Diese Einschätzung kann sich kurzfristig durch neue Erkenntnisse ändern.“ Die Einschätzung des RKI ist für langfristig wirksame Maßnahmen offenbar grundsätzlich nicht verwertbar.
Ergänzung: Auch am 7. Mai 2020 enthielt der Lagebericht des Krisenstabs BMI-BMG immer noch keine Dokumentation der Kollateralschäden!
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Zusammenfassendes Fazit:
Die Bewertungen der zuvor unter 6.1. untersuchten BMI-Lageberichte (Fazit) treffen auch für den hier zu beurteilenden Lagebericht des Krisenstabs zu.
Die vom RKI gelieferten Daten sind als Grundlage für die Entscheidungsfindung nicht zu gebrauchen. Die Bewertungen des RKI sind durch die vorgelegten Daten nicht gedeckt. Die Bewertungen sind vielfach spekulativ, teilweise unplausibel. Leider besteht der Lagebericht des Krisenstabs alleine aus einer Aufbereitung dieser Daten.
Es ist erforderlich, spezifische Daten von BMG einzufordern oder durch BMI selbst zu beschaffen, um die Gefahren des Coronavirus auf unsere Gesellschaft endlich in angemessener Genauigkeit einschätzen zu können und die Maßnahmen an dieser Einschätzung auszurichten.
Die einseitige Heranziehung von Daten und Einschätzungen das RKI für den Entscheidungsprozess des Krisenmanagements ist angesichts der Vielfalt von verfügbaren Instituten, Einrichtungen und Experten nicht akzeptabel. Wegen der weitreichenden Auswirkungen der eingeleiteten Schutzmaßnahmen wird von der zu Grunde gelegten Datenbasis und deren Interpretation das künftige Schicksal unserer Gesellschaft abhängen. Es ist aus Bevölkerungsschutzperspektive zwingend erforderlich, verschiedene auch untereinander im Wettbewerb stehende Quellen zu erschließen.
Eine ausführliche Erläuterung des Datenbedarfs für den Entscheidungsprozess findet sich, wie bereits erwähnt, in Anlage 5.
6.3 Ergänzende Auswertung einer neueren Ausgabe des Lageberichts des gemeinsamen Krisenstabs BMI-BMG - Konkret untersuchte Fassung vom 22. April 2020
Der Lagebericht sollte eine wichtige Entscheidungsgrundlage für das Krisenmanagement sein. Tatsächlich kann er nicht viel beitragen. Der Bericht wurde mit der Zeit immer ausführlicher. Am 8. April startete er noch mit 8 Seiten, nunmehr sind es 16. Der Gehalt an entscheidungsrelevanten Informationen ist genauso gering wie zu Beginn.
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Daten in dieser aktuellen Grafik werden nicht in einen Zusammenhang gebracht, der eine Bewertung und einen Vergleich von Gefahren und Risiken zuließe.
(Quelle: aus dem untersuchten Lagebericht, Seite 2)
Zum Vergleich wird hier beispielhaft die Entwicklungskurve von Influenzafällen in der
Grippesaison 2017/18 (nach RKI) betrachtet. Der Anstieg der Kurve steigt steiler an als bei
Covid-19 (trotz geringerer Übertragbarkeit), und sinkt noch deutlich steiler wieder ab.
(Quelle: RKI)
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Es steht zu befürchten, dass die in DEU getroffenen Schutzmaßnahmen dadurch, dass sie eine Durchseuchung verhindern (verlangsamen), zugleich ein schnelles Erreichen des Endes der (gesundheitlichen) Krise – und natürlich ein Abbremsen aller Kollateralschäden – verhindern. Überprüfen ließe sich das mit einer korrekten Gefahrenanalyse und –bewertung, z.B. nach der in dieser Ausarbeitung beschriebenen Methode.
Eine über Seiten reichende detaillierte Analyse von Intensivkapazitäten und Krankenhausbetten wird gar nicht benötig. Es reicht deutlich zu machen, dass die Kapazitäten bei weitem nicht ausgelastet sind und wie groß die Reserven sind. Außerdem müsste ebenso akribisch erfasst werden, wie viele OPs wegen der einschränkenden Maßnahmen nicht durchgeführt werden konnten (gegenüber Durchschnittswerten und konkret abgesagten Terminen) und welche Schäden (einschl. Todesfälle) dadurch bisher entstanden sind.
Die Daten und Erläuterungen zu Testkapazitäten enthalten teilweise irrelevante Informationen (Anzahl der meldenden Labore), unvollständige Angaben (Unterscheidung in anlasslose Test und Verdachtfälle, ggf. postmortem), vor allem aber wird nicht deutlich, was damit ausgesagt werden soll. Die entscheidende Zahl fehlt immer noch: der ungefähre Durchseuchungsgrad der Gesellschaft in DEU. Dazu wird noch nicht einmal eine Vermutung angestellt.
Die Testkapazitäten sind inzwischen insgesamt hoch. Wenn der Preis pro Test immer noch bei 200 Euro liegen würde, hätten die Tests bis heute 6 Mrd. Euro gekostet. Es fehlt eine Angabe über die Gesamtzahl der Tests und der Kosten, weil das ein relevanter Faktor für die Testoptionen darstellt. Auch unter Wirtschaftlichkeitsaspekten sollte das Testen untersucht werden: Brauchen wir die vielen Tests eigentlich überhaupt noch? Welchen Nutzen genau erzielen wir aus derartig vielen Testungen und Daten? Welche Relevanz haben die Testdaten für die Entscheidungen des Krisenmanagements. Könnten die Informationen anders (billiger) gewonnen werden? Wer verdient alles daran? Außerdem fehlen Angaben zur Genauigkeit der Tests.
Es entsteht teilweise der Eindruck von „Gestaltung“ von Informationen. Das begrenzt die Verwertbarkeit des Lageberichts zusätzlich.
Seite 12 (tendenziös) im Kontext mit extremistischen Gruppen: „Der Bundesregierung wird eine gezielte Desinformationskampagne über die Pandemie vorgeworfen.“
Die von der Bundesregierung zur Begründung ihrer Maßnahmen vorgetragenen Informationen waren für eine Bewertung der Gefahrenlage unbrauchbar, wie meine
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ausführliche Analyse zeigt. Das dies von Außenstehenden als Desinformationskampagne interpretiert wird, ist eine adäquate (nachvollziehbare) Wahrnehmung. Wenn die Information hier im Kontext mit extremistischen Gruppen gegeben wird, werden berechtigte Vorbehalte, die es in der Gesellschaft gibt, mit Extremismus gleichgesetzt. Dies führt zu einer Verharmlosung des Extremismus. Und zu einer Diskriminierung von Teilen der Bevölkerung, die ihren Verstand gebrauchen.
Seite 12: „Eine Zunahme der Gewalt in Familien und Beziehungen lässt sich in
Hellfelddaten derzeit nicht erkennen. Die Telefon- und Online-Beratung des Bundesfamilienministeriums verzeichnete für den März jedoch zweistellige Zuwächse im Vergleich zu den Vormonaten.“
Es ist unbedingt von einer starken Zunahme der Gewalt in Familien und Beziehungen auszugehen. Dass es keine Erkenntnisse aus dem Hellfeld gibt, ist kein Indiz dafür, dass es nicht so wäre. Hier wird durch selektive Darstellung und Rückgriff auf unbrauchbare Daten der Eindruck erweckt, es gäbe keine nennenswerten Probleme mit häuslicher Gewalt und indirekt: die getroffenen Maßnahmen sind halb so schlimm. Die Auslastung von Plätzen in Frauenhäusern ist bekannt, das wäre ein besseres Indiz.
Seite 14: Andere relevante wie wirtschaftspolitische Eckdaten finden sich in dem Lagebild nur für andere Staaten und die EU, nicht aber für DEU. Das ist angesichts der auflaufenden hohen Kollateralschäden unverständlich. Es beweist leider erneut, dass das Krisenmanagement auch am 22. April 2020 einen Abgleich von Gefahren nach wie vor nicht vornehmen kann und nicht vornimmt.
Aufwand für BW wird auf Seiten 15 und 16 grafisch aufwendig aufbereitet dargestellt. Dies ist eher eine Schau der eingesetzten Kapazitäten, als nützliche Information für die Entscheidungsfindung.
Insgesamt ist erschreckend, dass nach den vielen bereits vergangenen Wochen der Krise, und einer breiten öffentlichen Diskussion immer noch keine Lagebeschreibung verfügbar ist, die Anhaltspunkte zur Einschätzung der bestehenden Gefahren bietet.
6.4 Auswertung der Rahmenvorgaben zum Krisenmanagement
Maßstab für die Arbeit eines Krisenmanagements ist der Normalzustand.
„Unter dem Begriff Krisenmanagement wird die Schaffung von organisatorischen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen verstanden, die eine schnellstmögliche Zurückführung der eingetretenen außergewöhnlichen Situation in den Normalzustand unterstützen.“ („Information der Mitarbeiter/innen des BMI über Strukturen und Verfahren des Krisenmanagements“ aus 2014, Seite 3)
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Das muss folglich auch für das Sterbegeschehen gelten. Es müssten Daten für den Normalzustand herangezogen werden, und es müsste ein Abgleich mit den aktuellen ist-Zahlen vorgenommen werden. Für das rechnerische Delta müsste erfasst werden, welcher Anteil auf den Krankheitserreger entfällt, und welcher auf die Kollateralschäden.
„Der Krisenstab des BMI ist das zentrale Krisenreaktionsinstrument, dessen Struktur auch die Grundlage für die Gemeinsamen Krisenstäbe des BMI mit dem BMUB sowie des BMI mit dem BMG bildet.“ (ebd., Seite 6)
Im Konzert der Krisenbewältigungsinstrumente ist der gemeinsame Krisenstab von BMI und
BMG das handlungsauslösende Element. Die Leitung des Krisenstabs wird durch einen
Staatssekretär oder Minister wahrgenommen wird:
„Den Kern [des Krisenstabs] bilden die Mitglieder des Krisenstabes (AL Z, AL KM, AL B, IT-Direktor, Pressesprecher und Leiter Lagezentrum) unter Leitung eines Staatssekretärs bzw. von Herrn Minister. Der Leiter des Krisenstabes wird durch persönliche Assistenzdienste in einem Geschäftszimmer unterstützt. Ständiger Vertreter ist der Leiter der Abteilung ÖS in polizeilichen Lagen bzw. der Leiter der Abteilung KM in nichtpolizeilichen Lagen.“ (ebd., Seite 6)
Da es sich bei der Coronakrise um eine primär nicht-polizeiliche Lage handelt, ist der AL der Abteilung KM der vorgesehene Vizevorsitzende des Krisenstabs.
„In diesem Sinne haben sich BMI und BMUB im Falle von gravierenden Gefahren- und Schadenslagen durch Straftaten mit radioaktiven Stoffen sowie BMI und BMG im Falle einer Pandemie und des Bioterrorismus auf die Bildung gemeinsamer Krisenstäbe nach dem Modell des Krisenstabes BMI verständigt. Durch die Bildung gemeinsamer Krisenstäbe werden ressortspezifische Interessen gebündelt und ein einheitlicher ressortgemeinsamer Krisenbewältigungsansatz gewählt, der die Möglichkeiten einräumt, alle vorhandenen Handlungsoptionen ergänzend auszunutzen. Sie bilden die Ausnahme zu dem sonst gültigen Ressortprinzip.“ (ebd., Seite 6)
In der Coronalage ist davon abgewichen worden. Vizevorsitzender ist AL ÖS. AL KM wird (laut Organigramm des Krisenstabs vom 23.3.2020) lediglich „bei Bedarf“ hinzugezogen. Es muss hier offen bleiben, ob das geschehen ist, weil der Krisenstab Bioterrorismus als Pandemiehintergrund vermutet (in dem Falle wäre AL ÖS regulär Vizevorsitzender des Krisenstabs, s.o.).
Im Falle der Pandemie mussten (wegen des sehr starken Risikos von Kollateralschäden) zusätzlich die Ressorts Wirtschaft, Finanzen und Soziales eingebunden werden. Das ist geschehen.
Aufgrund der Grundsatzzuständigkeit für KRITIS wäre hilfreich, wenn BMI die Einbindung der Ressorts hinsichtlich möglicher KRITIS-Kollateralschäden koordinieren würde (KM, ggf. mit CI). Das bietet sich an, da in einer Pandemie Kritische Infrastrukturen in allen Sektoren gleichermaßen betroffen sind und ansonsten keine Gesamtlage ermittelt wird (sektorale Ressortzuständigkeit). Bei einer Neufassung der Rahmenvorgaben für die Krisenreaktion auf eine Pandemie, sollte für diesen Funktionsbedarf eine Lösung gefunden werden.
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„Er [der gemeinsame Krisenstab BMI-BMG] ist das zentrale Krisenreaktionsinstrument des BMI und des BMG und soll ein bundeseinheitlich koordiniertes Vorgehens im Gesundheitsschutz in Abstimmung mit den Krisenstäben der Länder sicherstellen.“ (ebd., Seite 9)
Dass der Krisenstab in einer Pandemie ausschließlich die Aufgabe hat, den Gesundheitsschutz sicher zu stellen, erscheint als Mangel in den Rahmenvorgaben zur Krisenbewältigung einer Pandemie.
„Der Gemeinsame Krisenstab wird regelmäßig gemeinsam durch den/die Sicherheitsstaatssekretär/in des BMI und den/die Staatssekretär/in des BMG geleitet, sofern nicht der Minister/die Ministerin oder ein(e) andere(r) Staatssekretär/in die Leitung übernimmt oder einem zuständigen Fachabteilungsleiter die Leitung übertragen wird. Ständiger Vertreter des/der Sicherheitsstaatssekretärs/in des BMI ist der Leiter der Abteilung KM im BMI, im Falle bioterroristischer Gefahren- und Schadenslagen der Leiter der Abteilung ÖS im BMI.“ (ebd., Seite 9)
„Das BMG wird auf Ebene der Abteilungsleiter (Mitglied des Gemeinsamen Krisenstabes) durch den/die Abteilungsleiter/in 3 sowie einen eigenen Stabsbereich Gesundheitsgefahren im Gemeinsamen Krisenstab vertreten.“ (ebd., Seite 9)
Das BMG ist lediglich auf AL Ebene im Krisenstab vertreten. BMI ist in der komfortablen Position, den stärkeren Einfluss auf das Krisenmanagement ausüben zu können. Im Falle einer Pandemie ist das hilfreiche - allerdings nur, wenn eine angemessene Gefahrenanalyse und -bewertung durchgeführt wird. Das ist in der Coronakrise bis Anfang Mai 2020 nicht der Fall. Eine eigene Gefahrenanalyse und -bewertung der Gesamtlage durch das BMI gibt es in der Coronakrise nicht. Für die Lageberichte des gemeinsamen Krisenstabs mit BMG wurden zu Beginn ausschließlich Datenaufbereitungen und -bewertungen aus dem Geschäftsbereich des BMG herangezogen, später wurden diese durch einzelne Klein-Beiträge des BMI mit sicherheitspolitischem Bezug und beliebig erscheinenden internationalen Meldungen ergänzt. Die Risikoeinschätzung wurde in dieser Krise in jedem Moment alleine von der Gesundheitspolitik bestimmt. Das muss als weiterer Mangel angesehen werden.
Zusammenarbeit mit den Ländern in einer Pandemie
Das gemeinsame Kriseninstrument von Bund und Ländern ist die sogenannte IntMinKoGr, die „Interministerielle Koordinierungsgruppe des Bundes und der Länder“:
„Die IntMinKoGr ist das gemeinsame Koordinationsgremium des Bundes und der Länder bei Gefahren-und Schadenslagen, die im Rahmen der üblichen Amtshilfe voraussichtlich nicht bewältigt werden können. Dazu zählen im Wesentlichen lang anhaltende und großflächige Schadens- und Gefahrenlagen (z.B. Unfälle in Kernkraftwerken im In- und Ausland, Pandemien, Naturkatastrophen erheblichen Ausmaßes), von denen mehrere Bundesländer betroffen sind und ein hoher Beratungs- und Abstimmungsbedarf besteht. Die IntMinKoGr hat die Aufgabe die betroffenen Länder zu beraten und zu unterstützen sowie die Entscheidungsfindung der Bundesressorts zu koordinieren.“ (ebd., Seite 10)
Die IntMinKoGr hat die Aufgaben, „auf eine bundesressort- und länderübergreifende Vorgehensweise hinzuwirken“ und „auf Grund von Fachexpertisen die im Krisenmanagement Handelnden zu beraten“.
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In der Coronakrise erfolgte die Beratung der Länder auf Basis der Risikoanalyse des gemeinsamen Krisenstabs BMI-BMG (niedergelegt in den Lageberichten). Da die Risikoanalyse einseitig auf gesundheitspolitische Aspekte fokussiert war und eine eigenständige ganzheitliche Gefahrenanalyse und -bewertung gar nicht stattgefunden hat, konnte auch die Beratung der Länder nur defizitär sein. Auf dieser Basis wurden jedoch weitreichende Entscheidungen getroffen.
Das u.a. für die Entwicklung von Methoden zur Risikoanalyse zuständige BBK, nimmt (unterstützt durch das BMI-Lagezentrum) in der Krise die Aufgabe einer Geschäftsstelle der IntMinKoGr wahr:
„Die Aufgaben der GSt IntMinKoGr werden vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) unter Einbeziehung der Ressourcen des Gemeinsamen Melde- und Lagezentrums von Bund und Ländern (GMLZ) wahrgenommen. Das BBK stellt das Personal für die GSt IntMinKoGr. Das Lagezentrum des BMI unterstützt die Arbeit und die Sicherstellung des Betriebes der GSt IntMinKoGr am Dienstsitz des BMI in Berlin.“ (ebd., Seite 11)
Das in Fragen der Risikoeinschätzung auch in Pandemielagen besonders qualifizierte und erfahrene BBK eng in das Krisenmanagement einzubinden ist ein richtiges Element.
Die Rolle der Kanzlerin
Im Falle einer besonders schweren Krise übernimmt die Bundeskanzlerin die Koordination und Führung.
„Für das Krisenmanagement auf Bundesebene ist in Abhängigkeit von der konkreten Gefahren- oder Schadenslage das jeweils fachlich überwiegend zuständige Ressort federführend. Die Bundeskanzlerin kann jedoch die Zuständigkeit für die Koordination / Führung, vor dem Hintergrund der besonderen Bedeutung einer eingetretenen Lage, übernehmen.“ (ebd., Seite 14)
Es bleibt unklar, was diese „Führungsrolle“ bedeutet. Es könnte z.B. bedeuten, dass die Bundeskanzlerin die vom Krisenstab vorbereiteten Entscheidungen nach außen vermittelt (wie eine Sprecherfunktion, in Kombination mit einer Art massenpsychologischer Betreuung der Bevölkerung). Es könnte aber auch bedeuten, dass die Bundeskanzlerin völlig frei nach Lust und Laune, oder auch nach eigenen festen Kriterien entscheidet. unterschreibt Es gab Besprechung im Kanzleramt. In allen Ergebnisprotokollen, die ich gesehen habe, wurden die gleichen Lageberichte und Daten zugrunde gelegt, wie im gemeinsamen Krisenstab von BMI und BMG. Auf der politischen Ebene hat sich der Fehler der unterbliebenen umfassenden und systematischen Gefahrenanalyse und –bewertung unmittelbar ausgewirkt und aller Wahrscheinlichkeit nach zu schwerwiegenden Fehlentscheidungen geführt.
„In den Ressorts, die zu einer Bewältigung einer Gefahren- oder Schadenslage beitragen können, wurden Vorkehrungen (z.B. organisatorisch-technische Vorbereitungen, Erreichbarkeitsregelungen) getroffen, um kurzfristig spezifische Krisenstäbe aufrufen zu können. Der Krisenstab des federführenden Ressorts übernimmt die Koordinierung im Bund sowie die Abstimmung mit den von der Gefahren- oder Schadenslage betroffenen Ländern.“ (ebd., Seite 15)
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Die „lagebezogene Koordination der Ressorts der Bundesregierung und die Abstimmung mit den betroffenen Ländern“ obliegt dem den Krisenstab der federführenden Ressorts. Das bedeutet, dass die Lageberichte des Krisenstabs die Grundlage für alle Interventionen sein müssten:
„Durch das in den letzten Jahren geschaffene System des Krisenmanagements auf Bundesebene wird sichergestellt, dass die lagebezogene Koordination der Ressorts der Bundesregierung und die Abstimmung mit den betroffenen Ländern durch den Krisenstab des federführenden Bundesressorts gewährleistet werden. Damit ist eine vormals der Interministeriellen Koordinierungsgruppe zugeordnete Aufgabe in das bestehende System des Krisenmanagements übergegangen.“ (ebd., Seite 16)
Hausanordnung Gruppe 4 Blatt 1 „Krisenstab und Koordinierungsstab“
Nachrichten und Informationen, die für die Beurteilung von besonderen Lagen bedeutsam sind, werden von den KoSts der Stabsbereiche dem Lagezentrum im Krisenstab zur Kenntnis geben.
„Das Lagezentrum im Krisenstab steuert die Informationen an die KoSt der Stabsbereiche, die wiederum die aufgabenbezogene Weiterleitung an die Leitung des Stabsbereiches und die jeweils betroffenen Organisationseinheiten sicherstellen. Zugleich gewährleisten die KoSt, dass die für die Beurteilung von besonderen Lagen bedeutsamen Nachrichten und Informationen, die Erfüllung von Aufträgen
sowie personelle Veränderungen in der Besetzung der Stabsbereiche des Krisenstabes unverzüglich dem Lagezentrum im Krisenstab zur Kenntnis gelangen.“ (Seite 3)
Die Koordinierungsstellen sind dafür zuständig, dass dem Krisenstab alle für die Beurteilung von besonderen Lagen bedeutsamen Informationen zur Verfügung gestellt werden. Das ist nicht geschehen.
Auf die von KM 4 dem Stabsbereich zugeleiteten Informationen (Analysen und Berichte) erfolgte keine Reaktion.
6.5 Zwischenbilanz der Bundesregierung
Am 7. Mai 2020 erschien eine "Zwischenbilanz der Bundesregierung"
(https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/gegen-corona-pandemie-1747714)
Das Dokument ist übertitelt: "Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie und zur Bewältigung ihrer Folgen". In dem Papier wird vorausgesetzt, dass eine Gefahr durch Covid-19 besteht, beschrieben wird die Gefahr nicht. Sie wird nicht einmal genannt. Sie ist quasi schon da, bevor das Papier einsetzt. In dem 22-seitigen Bericht gibt es an keiner Stelle eine Beschreibung der Gefahren und auch keinerlei Dokumentation einer systematischen Abwägung von Maßnahmen mit ihren Nebenwirkungen.
Zu Beginn heißt es: „Die COVID-19-Pandemie hat weltweit für alle Länder außerordentliche Belastungen zur Folge. Auch in Deutschland sind Wirtschaft, Sozialstaat, Gesundheitssystem und Gesellschaft massiv unter Druck geraten. Als weltweit vernetztes Land, aber auch als
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wichtiger Mitgliedstaat der EU steht Deutschland damit vor der größten Herausforderung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.“
Auf den Seiten 7 und 8 wird in zwei eingeschobenen Textkästen die „Entwicklung wichtiger Kennziffern und Quellen (Stand: 22. April)“ dargestellt. Auch hier werden keine Gefahren beschrieben, sondern es werden einige der bekannten Datenkategorien genannt, die ohne Interpretation oder Erläuterung des Kontextes eine Einschätzung der Gefährlichkeit des Virus eben gerade nicht ermöglich, z.B. die Zahl gemeldeter Neuinfektionen, der Anstieg von Testkapazitäten, die verfügbaren Intensivbetten und die Versorgung mit Schutzausrüstung. Die eigentlichen Schäden (Tote) kommen nicht vor.
6.6 Könnte es eine Gefahrenanalyse und –bewertung außerhalb des Lageberichts des Krisenstabs gegeben haben (oder noch geben)?
Die Sorgfaltspflicht gebietet es, in Erwägung zu ziehen, dass möglicherweise außerhalb der Lagebilder eine Gefahrenanalyse und –bewertung – wie von mir gefordert – durchgeführt wurde. Mir ist zwar kein vergleichbares Dokument begegnet oder eine diesbezügliche Aktivität bekannt geworden, dass muss aber nicht bedeutet, dass es eine solche nicht gibt. Denn Referat KM4 ist möglicherweise in derartige Aktivitäten nicht einbezogen worden.
Dagegen spricht allerdings:
Laut den Hausanordnungen des BMI, die alle Arbeitsabläufe und alle sonstigen Vorgaben der Krisenbewältigungsmechanismen definieren, ist der Krisenstab dafür zuständig, alle Entscheidungen zu treffen oder zumindest vorzubereiten.
„Bund und Länder wägen bei allen Entscheidungen deren Wirkung in gesundheitlicher, sozialer und wirtschaftlicher
Hinsicht sorgfältig gegeneinander ab.“ (Protokoll der Telefonschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 30. April 2020, Seite 1)
Lageberichte des Krisenstabs und die des RKI (die regelmäßig Bestandteil der Krisenstabslageberichte sind).
Beispielhafte Auswertung der Sitzungen 15, 16 und 17 (nach Aktenlage), sowie des
Protokolls der 14. Sitzung:
An den Sitzungen des Krisenstabs nahmen zwischen 29 und 38 Personen teil. Die meisten kamen aus dem BMI und dem BMG. Die übrigen aus BMWi, BMF, BMVI, BMVg, AA, BMAS, und dem RKI sowie dem BK. Bei der Beteiligung der Ressorts fällt auf, dass RKI und BMF gleichermaßen (aber nicht an den gleichen Tagen) zu einer Sitzung nur einen Vertreter schickten, zu einer anderen Sitzung zwei, und in einer Sitzung gar nicht vertreten waren. Das überrascht insbesondere bei dem Finanzressort, welches die finanziellen Mittel für alle Aktivitäten bereitstellen muss. Der Krisenstab tagte zweimal pro Woche für jeweils zwei Stunden.
28.4.20 (17. Sitzung, 2 h) 38 TN: 16 BMI, 11 BMG, 2 BK, 2 BMWi, 2 BMVI, 2 BMVg, 2 AA, 1 BMAS, 1 BMF, 0 RKI
23.4.20 (16. Sitzung, 2 h), 34 TN: 15 BMI, 6 BMG, 1 BK, 2 BMWi, 1 BMVI, 2 BMVg, 2 AA, 1 BMAS, 2 BMF, 2 RKI
21.4.20 (15. Sitzung, 2 h), 29 TN: 13 BMI, 6 BMG, 2 BK, 2 BMWi, 1 BMVI, 2 BMVg, 1 AA, 1 BMAS, 1
RKI
Aus den Sitzungen des Krisenstabs:
In der 14. Sitzung wurde zum Thema „Lagebild“ im Sitzungsprotokoll festgehalten,
dass die Bundeskanzlerin das Lagebild als sehr hilfreich erachtete und es gerne noch um Beschaffungen erweitert sehen würde – insbesondere im Hinblick auf Schutzmasken.
BMI und BMG kündigten an, der Bitte nachzukommen, erklärten jedoch, dass eine tagesaktuelle Bereitstellung der Beschaffungsdaten schwierig sei und
wöchentliche Aktualisierung in den Lageberichten dafür ausreichten. BMWi wolle künftig Beiträge zur Produktion der Schutzausrüstung erstellen.
In der 15. Sitzung kündigte RKI Ergebnisse einiger Studien für Ende Mai und Ende Juni an.
In keiner Sitzung wurde über die Gesamtkosten der Schutzmaßnahmen oder den Neuverschuldungsbedarf diskutiert und auch die Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Entwicklung am Arbeitsmarkt wurden nicht behandelt. Auch die gesundheitlichen Kollateralschäden (einschl. Todesfälle) waren kein Thema.
In zwei Sitzungen (15., 17.) wurde über die Lage in einer (einzigen) Kritischen Infrastruktur gesprochen (Telekommunikationsunternehmen). Der Status von KRITIS in DEU insgesamt stand bei keiner der untersuchten Sitzungen auf der Agenda.
Mit einem Papier vom 28.4. informiert das RKI in der 17. Sitzung im Zusammenhang mit Aktivitäten der EU darüber, dass die Reproduktionszahl R geringe Rückschlüsse auf wesentliche Indikatoren böte.
Dieser eigentlich katastrophale Befund deckt sich nicht ganz mit dem, was die Regierungen der Öffentlichkeit vermittelt:
Die politische Führung von Bund und Ländern reklamiert für sich, dass bei allen Entscheidungen, deren Wirkung „in gesundheitlicher, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht“ sorgfältig gegeneinander abgewogen würden. Die „ständig zunehmenden wissenschaftlichen Erkenntnisse über dieses neuartige Virus“ und viele interdisziplinäre Expertenmeinungen sollen dabei in die Entscheidungsfindung eingeflossen sein.
Ein Blick in die vielfältigen Beiträge aus allen tangierten Wissenschaftsbereichen, die in den letzten Wochen im Internet zu lesen waren, sowie ein Abgleich mit den in den Lageberichten zusammen getragenen Inhalten offenbart, dass dies nicht umgesetzt worden sein kann. Bei der Erhebung von medizinisch-gesundheitlichen Lagedaten wurde auf ein sehr enges Set an Indikatoren zurückgegriffen (s. andere Kapitel dieses Berichts), während die in DEU reich vorhandene Expertise in vielen anderen unmittelbar betroffenen Disziplinen brachliegen gelassen wurde.
„Die Verantwortung für die Entscheidungen liegt bei Bund und Ländern, für die angesichts des Umstandes, dass es sich um eine Situation ohne Beispiel mit vielen noch schwer abschätzbaren Risiken handelt, ein vorsichtiges Vorgehen in regelmäßigen Schritten und ein besonders strenger Maßstab für vorübergehend notwendige Grundrechtseinschränkungen das leitende Prinzip für verantwortbares Handeln ist.“ (Protokoll der Telefonschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 30. April 2020, Seite 2)
Der strenge Maßstab, den die Regierung angelegt haben will, ist nicht zu erkennen.
In dieser Darstellung wird ein Grundproblem des Krisenmanagements in der Coronakrise deutlich: die wesentlichen Entscheidungen werden von der Politik getroffen. Und die Politik hat in dieser Krise stark gestaltet.
Zusammenhang Gefahrenbewertung + Entscheidungsfindung
Beispiel: In anderen Gefahrensituationen, wie z.B. bei einem Feuerwehreinsatz an einem brennenden Wohnhaus, werden die Entscheidungen von qualifizierten Rettungskräften getroffen, nicht vom (politische gewählten) Bürgermeister. Der Brandmeister der Feuerwehr entscheidet, ob die einzige verfügbare Leiter genutzt wird, um zuerst eine aus einem Fenster auf der eine Gebäudeseite um Hilfe rufende schwangere Frau zu retten, oder ein aus dem anderen Gebäudeteil winkendes Kind, das von dichten Rauchschwaden eingehüllt ist. Diese Entscheidung trifft der Brandmeister (und nicht der Bürgermeister) auch dann, wenn der Bürgermeister direkt danebensteht, und selbst dann noch, wenn es um das Haus des Bürgermeisters geht, in dem seine Frau und sein Kind in die Notlage geraten sind.
Es stellt sich die Frage, wie effektiv und praktikabel es sein kann, wenn in einer Pandemie die Politik entscheidet und inflationär agiert, wenn, wie in der Coronakrise, einige wenige Regierungsmitglieder, die nicht für die Bewältigung derartiger Gefahrenlagen ausgebildet wurden, und die über die dafür erforderliche Fachkompetenz in der Regel nicht verfügen können, das Schicksal des Landes bestimmen sollen.
Es ergibt sich eine Diskrepanz zwischen einer Vielzahl an operativen Aktivitäten und Maßnahmen der Ministerien einschließlich ungezählter Änderungen des Rechtsbestands unseres Landes, mit denen zahlreiche Lebensbedingungen der Bevölkerung dauerhaft verändert werden einerseits, und der versäumten umfassenden Gefährdungserhebung der Gesamtlage. Es liegen seitenlange Darstellungen mit Überschriften und Kurzbeschreibungen alleine der Maßnahmen im Geschäftsbereich des BMI vor2. Wobei die ministeriellen Arbeitsprozesse seit März 2020 vielfach als unprofessionell und unsolide eingestuft werden müssen. Denn komplexe und auswirkungsstarke Gesetzentwürfe, die im Ressortmitzeichnungsverfahren normalerweise innerhalb von mehreren Wochen fachlich geprüft werden, und bei denen die jeweils zuständigen Referate weitere Parallelreferate oder nachgeordnete Behörden unterbeteiligen müssen, wurden in den letzten beiden Monaten vielfach mit „Verschweigefristen“ (die ohnehin in einer rechtlichen Grauzone liegen), innerhalb weniger Stunden „ressortabgestimmt“. Das bedeutet: Eine angemessene fachpolitische Prüfung kann nicht erfolgt sein. Der Prozess der Entscheidungsfindung über die von den Ministerien erarbeiteten Vorlagen im Deutschen Bundestag kann, wenn man die Zeit zwischen der abgeschlossenen Ressortabstimmung und der Verkündigung von Maßnahmen und Gesetzen betrachtet, nicht sehr viel gründlicher gewesen sein.
Getroffene Maßnahmen im Geschäftsbereich des BMI, „Kurzdarstellungen wesentlicher Maßnahmen und Themenfelder“, zuletzt 20 Seiten.
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Indirekt wird mit dieser Verfahrensweise die Risikolage bei Kritischen Infrastrukturen deutlich verschärft. Denn für das vielfach miteinander verwobene und stark interdependente Gesamtsystem von Kritischen Infrastrukturen sind Veränderungen a) sehr vieler gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, die b) innerhalb kurzer Zeit erfolgen und die c) nicht gründlich geplant und dann gut vorbereitet und planvoll realisiert werden, ein Problem. Es entsteht eine Dynamik von Wechselwirkungen, die schwer einzuschätzen ist. Der Aufwand, die Systemstabilität aufrecht zu erhalten, steigt. In der Konsequenz steigt die Verletzlichkeit unserer Gesellschaft und es werden natürlich mittelfristig die Preise für kritische Dienstleistungen steigen. Denn in der Regel werden alle zusätzlichen Aufwände (wegen neuer Vorschriften und Auflagen) von den Anbietern und Betreibern an die Kunden/Verbraucher weitergegeben (Strom, Gas, Wasser, Internet, …). Das wird schneller bei Leistungen privater Anbieter/Betreiber wirksam, aber auch die zusätzlichen Aufwände für staatliche Leistungen werden am Ende refinanziert werden müssen (z.B. über Steuererhöhungen oder Corona-Sonderabgaben).
6.7 Exkurs Exit-Strategien
Es soll eine exit-Strategie des BMI geben (wurde schon vor Wochen in der Presse bekannt). Gemeint ist der Ausstieg aus den Schutzvorkehrungen und Maßnahmen. Mit liegt sie nicht vor. Das bedeutet, ich kann sie nicht auswerten. Aber auch alle anderen Kollegen, die sie nicht kennen, können nicht damit arbeiten. Wenn sie verbindlich wäre, müsste sie als Vorgabe bekannt gegeben werden, damit das gesamte Krisenmanagement auf die gleichen Ziele hinarbeitet.
Wie sieht das aus der Sicht der Bevölkerung aus? Die Bevölkerung würde vielleicht hinterfragen, warum es eigentlich einer Strategie für den Ausstieg aus Maßnahmen bedarf? Sie müssten doch eigentlich nur beendet werden. Ist das überhaupt eine exit-Strategie, von der die Rede ist, oder ist es eine Strategie, bei der das Ziel darin besteht, den Zeitpunkt und die Dramaturgie des Ausstiegs z.B. nach politischen oder anderen Kriterien zu gestalten, zu dosieren und ggf. zu strecken? Es gäbe sicherlich Gründe und Interessen, den exit zu planen. Es kommt darauf an, welche Art von Interessen damit umgesetzt werden. Wenn es Minderheiteninteressen wären, die sich gegen die Interessen des Gemeinwohls durchsetzten, wäre das anders zu beurteilen, als wenn den Eigeninteressen der Gesellschaft zur Geltung verholfen würde. Wenn die Strategie zu einer Verschleppung des exits führen sollte, so könnte aus Bevölkerungssicht befürchtet werden, würde sich die Fallhöhe der Gesellschaft erhöhen und der Schaden der Bevölkerung wachsen. Da jeder Tag zählt und Menschenleben davon abhängen, sollte es erlaubt sein oder sogar geboten, die hier wirksamen Interessen genau zu untersuchen und zu hinterfragen – z.B. durch den Krisenstab BMI-BMG.
Aus professioneller Sicht des Bevölkerungsschutzes und der Katastrophenhilfe wäre sinnvoll und hilfreich gewesen, eine exit-Strategie zu haben, die ein Instrumentarium dafür bietet, den Zeitpunkt zu finden, zu dem die Kollateralschäden aus dem Ruder laufen und die zu erwartenden Gesundheitsschäden beginnen zu übertreffen. Das ist schwierig, weil man auf Prognosen angewiesen ist. Insofern kann es aber auch nicht schwieriger sein, als bei der Entscheidung zugunsten von einschränkenden Schutzmaßnahmen – auch die basieren auf nichts anderem als Vermutungen und Prognosen (siehe Auswertung der Beschlüsse der Regierungen von Bund und Ländern vom 22. März 2020 in diesem Papier), die mehr oder weniger plausibel sein können.
Gegenüberstellung von Vorwissen und realem Handling des Krisenmanagements 2020
Am Krisenmanagement war selbstverständlich nicht alles falsch (aber leider wesentliches). Wenn man einmal von der Gefährdungsanalyse absieht, hat die Zusammenarbeit der Ressorts untereinander und miteinander im Krisenmanagement recht gut funktioniert. Das gilt sowohl für die Bundesbehörden und als auch für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Zwar agierten die einzelnen Bundesländer als Träger der wichtigsten konkreten Entscheidungen über Maßnahmen eigenständig und graduell differenziert, aber es kam nicht zu extremen Alleingängen einzelner Länder sondern bildete sich ein sehr ähnlicher, eher einheitlicher Umgang mit der Krise heraus.
In der gegenwärtigen Krise wurde vielfach das Agieren anderer Staaten als Vorbild oder Muster herangezogen, obwohl wesentliche Rahmenbedingungen nicht vergleichbar sind. DEU verfügt über eine sehr viel bessere Gesundheitsinfrastruktur als die meisten anderen Länder und hat insbesondere höhere Behandlungskapazitäten für hoch ansteckende, lebensbedrohliche Erkrankungen als jeder andere Industriestaat. Auch die Datenlage, die für die Ermittlung des Gefährdungspotentials wichtig ist, ist in DEU vergleichsweise umfangreich und detailliert. Das alles war dem BMI bei Ausbruch der Krise bekannt. Dennoch waren die Schutzmaßnahmen in DEU (im Vergleich zu anderen Industriestaaten) nicht etwa reduziert, sondern besonders umfassend.
In der Corona-Pandemie 2020 wurde zwar von Anfang an auf die Kompetenz von Fachleuten zurückgegriffen. Allerdings sehr selektiv. Es wurden nur ausgewählte Fachleute angehört, nur deren Auffassungen wurde beachtet. Die Fachexpertise aus virologischen und immunologischen Spezialdisziplinen muss in die ganzheitliche Gefährdungsanalyse und –bewertung einer Pandemie unbedingt eingehen, sie muss in diesem Prozess jedoch mit anderen Faktoren abgeglichen werden. In der Coronakrise wurden vom professionellen Krisenmanagement fachlich einseitige, gefilterte Fachinformationen isoliert herausgegriffen und zum alleinigen Maßstab für jede erfolgte Intervention gemacht. Da nützen einem die besten Spezialisten nichts.
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Sie kennen sich zwar in ihrem sehr begrenzten Kompetenzfeld gut aus, haben aber nicht die erforderliche Einsicht in die komplexen Rahmenbedingungen die darüber hinaus ein modernes Gemeinwesen prägen. In diesem Gemeinwesen sind Einflussgrößen aus sehr vielen weiteren Spezialgebieten wirksam. Wie konnte das Krisenmanagement annehmen, dass die medizinischen Experten des RKI dies überblicken? Die Kollegen des RKI konnten von den Anforderungen und den Erwartungen, die in der Krise an sie gerichtet wurden, nur hoffnungslos überfordert sein.
Ein Blick in die Beschreibung der Methode der Risikoanalyse macht die Unbrauchbarkeit der Risikobewertung durch RKI deutlich:
„Bei der Risikobewertung handelt es sich um eine deskriptive, qualitative Beschreibung. Denn für die verwendeten Begriffe “gering“, „mäßig“, „hoch“ oder „sehr hoch“ liegen keine quantitativen Werte für Eintrittswahrscheinlichkeit oder Schadensausmaß zugrunde. Allerdings werden für die Schwerebeurteilung ( = Schadensausmaß) genutzten drei Kriterien bzw. Indikatoren (Übertragbarkeit, Schwereprofil und Ressourcenbelastung) mit jeweils quantifizierbaren Parametern beurteilt.“ (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung_Grundlage.html )
Das heißt, die Kanzlerin und die MP der Länder haben ihre weitreichenden Maßnahmen auf der Basis einer Risikobewertung getroffen, die Risiken nach in die qualitativen Kriterien gering, mäßig und hoch beschreibt, ohne jede Größendimension. Die Bewertung der Gefährlichkeit der Pandemie für unser Land bemisst das RKI nach der Übertragbarkeit des Krankheitserregers, nach der Zahl von Infektionen und nach dem Schwereprofil (u.a. Anteil Tote). Gesundheitsschäden durch Kollateralschäden sind für RKI kein Kriterium, sie werden nicht erwähnt, obwohl dadurch größere Mengen an Todesfälle entstanden sind, als durch Covid-19 (siehe Anlage zur Kurzfassung).
Im Falle der Corona-Epidemie sind von der beteiligten Wissenschaft neben bewiesene Wahrheiten auch Meinungen, Interpretationen und Prognosen bezogen worden, denn auch die werden von einem verantwortungsbewussten Krisenmanagement benötigt.
Diese spekulativen Elemente (Vermutungen) waren sogar in wesentlichen Entscheidungen handlungsleitend für das Krisenmanagement, insbesondere bei den Entscheidungen über die für Bevölkerung und Wirtschaft belastende Schutzmaßnahmen und solche Maßnahmen, die sich problematisch auf das Sicherheitsniveau unserer Kritischen Infrastrukturen auswirken.
In dem Pool sämtlicher Prognosen, Meinungen und Interpretationen dieser Welt, gibt es solche, die sich im Nachhinein als näher oder weiter entfernt von der Wahrheit erweisen werden. Im Falle der Bewertung der Gefahren des Corona-Virus für unsere Gesellschaft werden wir das vermutlich in spätestens fünf Jahren zuordnen können. Um heute im Krisenmanagement die besten Entscheidungen treffen zu können, müssen wir möglichst viele verschiedene Meinungen, Interpretationen und Prognosen anhören und sie sorgfältig abgleichen. Viel mehr als eine Plausibilitätsprüfung werden wir nicht leisten können, aber die muss umso konsequenter durchgeführt werden. Denn jede Prognose kann falsch sein, und wenn wir aufgrund voreiliger Limitierungen
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nur solche Prognosen heranziehen, die sich im Nachhinein als falsch erweisen werden, wird das im Falle dieser Coronal-Krise schlimme Folgen für unsere Gesellschaft haben. Es kommt also bei der Auswahl sehr ernsthaft zu erwägender Prognosen grundsätzlich nicht darauf an, wie beliebt eine bestimmte Prognose in bestimmten Kreisen ist, wie bequem oder opportun sie für bestimmte politische oder auch parteipolitische Ziele erscheint, und auch nicht, wie viele Menschen sie für am wahrscheinlichsten halten, sondern ob wir genau diejenige Prognose(n) in unseren Abgleich einbezogen haben, die der Wahrheit am Ende am nächsten gekommen sein wird. Das heißt, es müssen alle Theorien geprüft werden, auch die auf den ersten Blick abwegigen, denn auch unter ihnen kann am Ende der Treffer (der später erkennbaren Wahrheit) sein. Das Krisenmanagement kann einen unvermeidbaren Fehler machen, indem es seine Entscheidungen auf eine zwar plausible aber falsche Prognose stützt. Das Krisenmanagement kann aber auch einen vermeidbaren Fehler machen, indem es Prognosen versäumt in die ernsthafte Plausibilitätsprüfung einzubeziehen, unter denen (im Moment unerkannt) die richtige ist.
Ein Sicherheitskonzept kann nur dann als wissenschaftlich begründet und optimiert gelten, wenn es den Selektionsprozess von Theorien nicht vorzeitig schließt, sondern auch in der sich entwickelnden Krise noch laufend offenhält. Mit Blick auf die breite Fachdiskussion im Internet und die darin diskutierten vielfältigsten Thesen, und im Vergleich dazu das enge Spektrum der im Krisenmanagement einbezogenen Thesen, müssen Zweifel daran bestehen, ob die Vorgabe der Wissenschaftlichkeit in der Corona-Krise ausreichend realisiert wird.
Die Auswahl der einbezogenen Wissenschaftler scheint einseitig zu sein. Die starke Fixierung auf das Robert-Koch-Institut (RKI) und teils massive Abwertung von wissenschaftlichen Gegeneinschätzungen durch RKI sowie die Öffentlichkeitsarbeit der BReg führen dazu, dass nicht alle wissenschaftlichen Meinungen ausreichend berücksichtigt werden.
Bei dem Bemühen des Krisenmanagements um eine Bewältigung der Virus-Infektion wurden Maßnahmen getroffen, die im Verlaufe der Krise zu einer eigenständigen Gefahr geworden sind. Wir haben es in der Corona-Krise also mit zwei Gefahren zu tun, die wir bewerten müssen, für die wir eine Risikoeinschätzung vornehmen müssen.
Die Bedeutung von Ursache Wirkungsbezügen wurde in der Aufarbeitung des Wissensstandes dargelegt. In der Coronakrise haben sich in der Arbeit des Krisenstabs erhebliche Probleme offenbart, in der Gefahrenanalyse Ursache-Wirkungs-Bezüge zu erkennen und folgerichtig auszuwerten. Insbesondere die langfristigen Auswirkungen auf das Resilienz- und Sicherheitsniveau der Versorgung mit kritischen Dienstleistungen blieben unbeachtet, bzw. wurden von anderen Aspekten dominiert. Tatsächlich haben das Fachreferat KM4 und die nachgeordnete Behörde BBK Auswirkungen im KRITIS-Bereich erfasst. Allerdings wurden
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überwiegend nur Zustands- und Lageerhebungen zu aktuellen Zeitpunkten durchgeführt, Prognosen wurde nicht abgegeben. Das geschah auch in dem gemeinsamen Melde und Lagezentrum von Bund und Ländern, das vom BBK betrieben wird. Aus diesem Kontext wurde in den Krisenstab hinein unregelmäßig berichtet, schließlich stoppte der Krisenstab die Lieferungen und verzichtet seither ganz darauf, obwohl gerade die Entwicklung bei Kritischen Infrastrukturen zu den potentiell auswirkungsstärksten Bereichen gehört und viele absehbare Auswirkungen erst mit zeitlichem Verzug, aber dann unaufhaltsam eintreten.
Wichtig wäre eine Prognose über zu erwartende Ausfälle im KRITIS-Bereich gewesen und natürlich eine Betrachtung des Gesamtgeschehens im KRITIS-Bereich. Es wäre nicht nur erforderlich gewesen, eine umfassende Bewertung der Krisendynamik im KRITIS-Kontext eigeninitiativ zu erstellen und dem Krisenstab zur Verfügung zu stellen, sondern auch, dass der Krisenstab selbst diese Prognose und Einschätzung anfordert. Beides ist so gut wie nicht geschehen. Die Analysen, die im zuständigen Fachreferat KM4 dazu gefertigt wurden, wurden nicht beachtet und nicht weiter transportiert. Der Mitarbeiter, der laufend dazu Analysen geschrieben und Anforderungen formuliert hatte (und diesen Bericht verfasst hat), wurde nicht in das Krisenmanagement eingebunden, so dass seine Möglichkeiten, im Verlaufe der Krise zu überprüfen, ob die Belange des KRITIS-Schutzes ausreichend beachtet wurden, schließlich kaum mehr gegeben war – Protokolle von Krisenstabssitzungen und interne Strategiepapiere wurden zu Beginn der Krise noch so weit gestreut, dass auch KM 4 stets informiert war, später wurden nur noch Auszüge verschickt, die Anbindung an das strategische Gesamtvorgehen wurde immer spärlicher. Das ist absolut unverständlich angesichts der Tatsache, dass das reibungslose Funktionieren Kritischer Infrastrukturen von allerhöchster Priorität sein müsste.
Timing des deutschen Krisenmanagements: Nicht zuletzt aufgrund der fehlerbehafteten Gefahrenbewertung kam das deutsche Krisenmanagement mit seinen Aktivitäten bisher in jeder Phase der Coronakrise zu spät, es schiebt von Anfang an eine überdimensionale Bugwelle von überfälligen Entscheidungen vor sich her. Im Januar 2020 wurde versäumt, sich intensiv mit dem Virus in China auseinander zu setzen, im Februar wurde unterlassen, Maßnahmen gegen eine Pandemie vorzubereiten und im März hat man darauf verzichtet, eine aussagekräftige Daten für eine belastbare Gefahrenanalyse und –bewertung zusammen zu tragen. Diese Bugwelle gilt es jetzt abzubauen, denn im April steht offenkundig auf der Agenda der notwendigen Taten, die stark in das öffentliche und private Alltagsleben und die Rechte der Betroffenen eingreifenden Maßnahmen aufzuheben, insbesondere
Kontaktverbote
harte Wirtschaftsrestriktionen
das Aussetzen des öffentlichen Lebens.
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Heute wird sich vermutlich nachteilig auswirken, dass die Arbeiten an einer erneuerten KRITIS-Strategie, trotz zeitig erfolgtem Arbeitsauftrag der BMI Hausleitung (in 2015), jahrelang so erfolglos betrieben wurden. Die strategische Neuausrichtung und die konkretere programmatische Ausgestaltung hätte unserem Land ein solides Fundament schaffen können, um in einer Krise mit konkreten Maßnahmen schnell nachzusteuern und das Sicherheitsniveau bestmöglich zu sichern. Da dies nicht geschehen ist, wird die Aufgabe jetzt doppelt so schwierig.
Rückschlüsse aus der Risikoanalyse von 2012, die nicht ausreichend beachtet wurden:
Eine wichtige Erkenntnis aus der Risikoanalyse 2012, dürfte sein, dass bei jeglichen Maßnahmen stets mitgedacht werden muss, dass sich die ersten Warnmeldungen als Fehlalarm herausstellen könnten. Denn wirksamen und umfassenden Schutzmaßnahmen wohnt ein gewaltiges eigenes Schadpotential inne (als Kollateralschaden). Dieses Schadpotential entfaltet vor allem bei einem Fehlalarm und Überschätzung der gesundheitlichen Gefahren seine fatale ironische Wirkung.
Aus der Risikoanalyse hätte eine Sensibilisierung für das Problem der Kollateralschäden erwachsen müssen, insbesondere im Fall eines Fehlalarms oder einer zu hohen Gefahreneinschätzung. - Und das umso mehr, je mehr ein Krisenmanagement die Nachlässigkeit begeht, einseitig bei den gesundheitlichen Gefahren auf Nummer Sicher zu gehen, und die Gefahren, die von den eigenen „Schutzmaßnahmen“ ausgehen, nicht angemessen zu berücksichtigen und jede Kritik an der eigenen Arbeit statt zu überprüfen, zurück zu weisen. In diesem Fall können aus staatlichen Schutzmaßnahmen, staatliche Schädigungsmaßnahmen werden. 2020 haben wir noch die Chance, die Strategie nachzujustieren und gemachte Fehler zu begrenzen.
Fehler werden in einem komplexen Krisengeschehen immer gemacht. Es kommt darauf an, wie mit den Fehlern umgegangen wird und ob noch im laufenden Verfahren flexibel nachanalysiert und die Strategie wo nötig korrigiert wird. Im Übrigen gibt es vermeidbare und unvermeidbare Fehler. Bei unzureichender Datenlage diejenige Auswahlentscheidung zwischen zwei ähnlich plausiblen Handlungsoptionen zu treffen, die sich im Nachhinein als falsch erweist, ist ein unvermeidbarer Fehler. Sich nicht ausreichend sorgfältig und vorausschauend um aussagekräftige Daten für eine plausible Risikoeinschätzung zu kümmern und dann falsche Entscheidungen zu treffen, ist ein vermeidbarer Fehler, der zu einem unverzeihlichen wird, wenn, um das Gesicht zu wahren an falschen Entscheidungen festgehalten wird.
umsteuern, sobald der Fehlalarm in den zyklischen Überprüfungen als die plausiblere Wahrheit zu erkennen ist.
In der 2012er Risikoanalyse heißt es im Szenario: „Neben der Information der Bevölkerung treffen die Behörden, aufbauend auf bestehenden Plänen und den Erfahrungen aus der Vergangenheit, Maßnahmen zur Eindämmung und Bewältigung des Ereignisses. Krisenstäbe werden zeitnah einberufen und übernehmen die Leitung und Koordination der Maßnahmen.“
Die Realität 2020 sieht etwas anders aus. Nicht die Behörden treffen Maßnahmen, nicht die Krisenstäbe übernehmen Leitung und Koordination der Maßnahmen, sondern die Politik trifft die Entscheidungen und die Krisenstäbe finden gute Begründungen dafür. Auch das ist ein Problem des Krisenmanagements in der Coronakrise. Die Rolle der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten der Länder, die über keine Kompetenz und Erfahrung in der operativen Entscheidungsfindung in komplexen Krisensituationen haben (fachlich ohnehin eher nicht) und diese gar nicht haben können, führen das Heft.
Damit kommt das administrative und ministeriale Rollenmodell zur Wirkung. Es ist dann kaum noch möglich, eigene Impulse von den Behördenapparaten zu erwarten. Die Behörden und Ministerialen spielen die Rolle, die sie immer spielen weiter, sie versuchen so gut es geht zu erraten, was die politische Führung glaubt und anstrebt und orientiert das eigene Veralten vollständig an diesen Projektionen.
Für den Bereich des Trinkwassers wurden trotz der Benennung von Lieferengpässen und Lieferketten als Schlagworte nicht vorausgesehen, dass beim Fehler einzelner Komponenten ganze Systeme wegbrechen können. Das, was sich aktuell als Problem bei der Trinkwasserversorgung abzeichnet ist eine neue Erfahrung, für die es keine fertige Lösung aus den Übungen und Simulationen gibt. Dieses Problem muss on the job gelöste werden – mit den Leuten, die dazu in der Lage sind.
x Problematisch ist, dass wir es mit einem komplexen System von Kritischen Infrastrukturen in DEU zu tun haben, das beim Ausfall nur einer einzigen wesentlichen Komponente, den Rest des Systems ebenfalls zum Kollabieren bringen kann. Wenn die Stromversorgung flächendeckend und länger anhaltend ausfällt, nützt uns die weltbeste IT-Sicherheit nichts. Wenn das Internet nicht wie gewohnt verfügbar ist, ist mit einer ähnlichen Kaskade zu rechnen. Ähnliches gilt für die Trinkwasserversorgung und die Nahrungsmittelversorgung. Demgegenüber hätte realistisch betrachtet der Tod von 200.000 Einwohnern (zufälliger Wert) durch einen neuen Krankheitserreger, oder
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sogar der Tod von 1 Mio. Einwohnern im Rentenalter, kaum Auswirkungen auf die Versorgung mit Kritischen Dienstleistungen – sowie die Funktionsfähigkeit des innerstaatlichen Wertschöpfungsprozesses, die internationale Wettbewerbsfähigkeit und die Stabilität der staatlichen Ordnung). Damit wird keine Bewertung von Menschen vorgenommen, sondern Funktionen, Wirkungsweisen und reale Konsequenzen werden veranschaulicht.
Wenn (ursprünglich) gesundheitliche Schutzmaßnahmen wie die der laufenden Corona-Pandemie, zu einer Destabilisierung des Systems Kritischer Infrastrukturen führen, kann das hingegen den Exitus unserer gesamten Gesellschaft bedeuten mit zig Millionen Toten (vgl. Blackout der Stromversorgung) und natürlich der Aufhebung jeglicher, nicht nur der staatlichen, Ordnung. Insofern ist es für das Krisenmanagement unverzichtbar, die bereits eingetretenen, und die noch möglichen Auswirkungen der Schutzmaßnahmen umfassend und objektiv zu erheben, um die Gefahren von a) Erkrankungen und b) Schutzmaßnahmen vergleichen zu können und optimal darauf zu reagieren.
Die Rolle der Bundeskanzlerin, die einer gesonderten Untersuchung bedarf, war vielfach nicht transparent, vielleicht sogar missverständlich, aber bei den Medien und der Bevölkerung kam das Agieren der Kanzlerin gut an. Dieser Komplex müsste aus drei Gründen näher untersucht werden: 1. Publikumsgefallen ist keine Garantie und noch nicht einmal überhaupt ein Kriterium für richtige Entscheidungen. Mit ihm kommt ein sachfremder Motivator ins Spiel, der anfällig für Fehlentscheidungen macht. 2. Übergroße Zustimmung und Akzeptanz selbst für Unsinn erzielen zu können, birgt eine große Gefahr für unser Gemeinwesen in sich. 3. Die nahezu durchgängige positive Resonanz der Medien insbesondere auf jegliche Aktivität der Bundeskanzlerin, egal was sie gerade ankündigte und wie und mit welchem Timing sie ihre Haltung zu bestimmten Fragen als alternativlos darstellte oder auch änderte, bestätigt leider negative Vorurteile über die Presse. Als Korrektiv für Fehlentwicklungen z.B. in einem suboptimalen Krisenmanagement scheint der übergroße Teil der (freien) Presse mehr oder weniger unbrauchbar. Aus gesamtstaatlicher Sicht muss das als Warnsignal angesehen werden. Es empfiehlt sich sehr, bei künftigen Anpassungen der rechtlichen oder Rahmenbedingungen auf eine wieder größere Unabhängigkeit und Kritikfähigkeit hinzusteuern. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Presse die Regierung geschlossen massiv einseitig und ungerecht kritisierte, und durch ihren Einfluss eine politische Machtveränderungen einfach auslösen könnte, dürfte gegen null gehen. Die Gefahr, dass die Bevölkerung alles glaubt, was sie von den meisten Medien serviert bekommt, und sich dies unkritisch zu eigen macht, liegt sehr hoch.
Bei der Risikoanalyse aus 2012 wurde der simulierte Pandemieverlauf vom RKI beigesteuert. Die Daten waren als Fakten für das Planspiel gesetzt, sie wurden nicht hinterfragt. Für ihr genaues Zustandekommen musste sich niemand der Übungsbeteiligten interessieren. Für ein Planspiel, in dem eine einzige konkrete
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Fallkonstellation hypothetisch durchgespielt werden soll, ist das eine praktikable Begrenzung ansonsten unzähliger möglicher Fallkonstellationen. In der Coronakrise hat sich das Krisenmanagement wie in einer Übung verhalten, es hat die Zulieferungen von hochspezifischem fachlich-medizinischen Input inhaltlich nicht mehr hinterfragt. Gegen Vorschläge, Anregungen und Forderungen von außen hat man sich abgeschottet.
Da nun alle Maßnahmen und alle Öffentlichkeitsarbeit (Krisenkommunikation) auf einseitigem oder suboptimalem fachlichen Input beruht, sind leider alle Maßnahmen und Entscheidungen des Krisenmanagements potentiell suboptimal. Das bedeutet auch, dass in der größten Krise, die die Bundesrepublik je erlebt hat, der Staat potentiell der größte Produzent von fake news war, gegen die er gerade in der Krise vorzugehen propagierte. Damit hat er dazu beigetragen, dass ein wichtiges Unterstützungspotential zur Bewältigung der Krise blockiert wurde.
Die zwei Vorteile der Lage:
Wir haben gerade Erfahrungen mit einer Krise gesammelt. Wenn wir diese Erfahrungen zeitnah aufarbeiten, können wir von den gemachten Fehlern noch lernen.
Während wir bei der Coronalkrise mit einer Gefahr zu tun hatten, deren Wirkmechanismen und Ursprünge wir nicht kannten, verfügen wir bei den neuen Gefahren für die Kritischen Infrastrukturen (und darüber hinaus) über das volle Wissen der auslösenden Momente und haben größtmögliche Kontrolle über die in der Krise in Gang gesetzten Instrumente.
Zwischenauswertung
Die vom Krisenmanagement zugrunde gelegte Datenbasis war und ist ungeeignet zur Bewertung der Gefahrenlage für unsere Gesellschaft. Die Fixierung auf gesundheitliche Parameter verstellte den Blick auf weitreichende Auswirkungen in anderen gesellschaftlichen Bereichen.
Insbesondere eine systematische Erhebung der langfristigen Gefährdungslage im komplexen Gesamtsystem Kritischer Infrastrukturen hat in der Lageberichterstattung, die Grundlage von Entscheidungen war, nicht stattgefunden. Die Befassung mit einer Fülle an punktuellen Einzelmeldungen aus den Branchen und Sektoren, sowie das akribisch-formalistische Abarbeiten von zahlreichen Zuschriften/Einzelanfragen von Lobbygruppen und potentiellen KRITIS-Betreibern im Tagesgeschäft des Krisenstabs konnten dieses Defizit nicht auffüllen, sondern scheinen die strategische Arbeit der Gefahrenanalyse und –bewertung und die Abwägung von Entscheidungen über Maßnahmen limitiert zu haben.
Angesichts des (von mir ausführlich dargelegten) breiten Erfahrungsschatzes aus groß angelegten Pandemieübungen und Risikoanalysen, und angesichts der umfänglichen Erkenntnisse, die der Bevölkerungsschutz in den zurückliegenden Jahren konzeptionell und systematisch erarbeitet hat, müssen die schweren Versäumnisse bei der Gefahrenanalyse und –bewertung als methodisch-handwerkliche Fehlleistungen des Krisenmanagements betrachtet werden. – Allerdings haben wir darüber hinaus eine Dynamik erlebt, die auch auf (aus heutiger Sicht vielleicht suboptimale) rechtliche Rahmenbedingungen zurückgeführt werden muss. Diese haben einen Automatismus ausgelöst, der alleine mit guten Willen kaum mehr gebremst werden konnte und uns noch immer hemmt.
Die beobachtbaren Defizite im Krisenmanagement schlagen sich in der Konsequenz unmittelbar in einer stark gestiegenen Gefahrenlage bei den Kritischen Infrastrukturen nieder (siehe Kapitel 10).
Da sich das aktuelle Krisengeschehen in einem Transformationsprozess befindet, in dem es übergangslos von der einen in die nächste und voraussichtlich länger anhaltende Krise übergeht, erscheint dringend notwendig, die erste Phase bereits jetzt gründlich aufzuarbeiten. Die vorliegende Analyse behandelt schwerpunktmäßig die Aspekte „Schutz Kritischer Infrastrukturen“ und „Gefahrenbewertung“. Dies wäre ein Baustein neben anderen, die in der Auswertung einbezogen werden müssten.
Es kann nicht darum gehen, vom Krisenmanagement hellseherische Fähigkeiten zu erwarten und es danach zu bewerten, ob es unvorhersehbare Risiken vorab richtig eingeschätzt hat. Vielmehr müssten alle vorgesehenen Verfahrensschritte sorgfältig beachtet werden und alle möglichen Optionen genutzt werden, um die Gefahren so genau wie möglich zu ermitteln. Das ist umso dringlicher geboten, als jedem Mitglied des Krisenmanagements spätestens im Laufe der Krise bewusst gewesen sein muss, welche schwerwiegenden Schäden unserer Gesellschaft durch die Schutzmaßnahmen entstehen würden und nunmehr tatsächlich entstehen. Das gilt für jeden einzelnen Tag, der ohne Veränderungen ins Land geht.
Beschluss der Kanzlerin mit den Länderchefs am 22. März 2020 im Kontext der Ergebnisse dieser Analyse
Da die politische Spitze keine anderen Entscheidungen treffen kann, als im Vorbereitungsprozess durch das Krisenmanagement erarbeitet worden sind, wurden die Defizite des Krisenmanagements in den politischen Raum übertragen. Beispielhaft zeige ich diesen Effekt an den Beschlüssen der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder am 22. März 2020.
Die einzige Begründung, die die Regierungschefs von Bund und Ländern für die von ihnen verfügten Maßnahmen und Einschränkungen von Rechten angeben, ist, dass die rasante Verbreitung besorgniserregend sei. Es wird nicht dargelegt, wie die Gefahr von der Bundesregierung oder den Länderregierungen oder sonstigen Stellen (z.B. Krisenstäbe, RKI, …) eingeschätzt wird. Es wird überhaupt nichts zur Gefährlichkeit des Coronavirus gesagt.
„Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder fassen folgenden Beschluss: Die rasante Verbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) in den vergangenen Tagen in Deutschland ist besorgniserregend. Wir müssen alles dafür tun, um einen unkontrollierten Anstieg der Fallzahlen zu verhindern und unser Gesundheitssystem leistungsfähig zu halten. Dafür ist die Reduzierung von Kontakten
entscheidend,“ Quelle: Protokoll der Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen
und Regierungschefs der Länder am 22. März 2020
Das Ziel, einen unkontrollierten Anstieg von Fallzahlen zu verhindern, ist eine Aussage, bei der nicht erkennbar wird, was genau sich dahinter verbirgt. Alle möglichen Fragen bleiben unbeantwortet, z.B. was mit Fallzahlen gemeint ist, und was die Fallzahlen über die Gefährlichkeit aussagen.
Auch die Qualifizierung der Ausbreitungsgeschwindigkeit als „rasant“, ist fragwürdig. Das kann sich nur auf eine Mikrobetrachtung beziehen. Zu dem Zeitpunkt des Beschlusses lagen
– bezogen auf den Gesamtstaat, für den Maßnahmen verfügt wurden – keine Belege für eine gefährliche Verbreitung vor. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit auf diesem Niveau kann kein Ersatz- oder Hilfskriterium für Gefährlichkeit sein. Es gab laut Lagebericht des RKI vom
22.3.20 nur 18.610 bestätigte „Fälle“ (0,2 Promille der Bevölkerung), und 55 Verstorbene (0,0006 Promille der Bevölkerung).
Die Regierungschefs nennen zwei Ziele zur Abwehr der befürchteten Gefahr:
Verhindern eines unkontrollierten Anstiegs der Fallzahlen sowie
Erhalten der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems.
Eines dieser zunächst gleichrangig genannten Ziele hatte offenbar Priorität: die Kontrolle des Fallzahlenanstiegs. Die Auswirkungen der ergriffenen Maßnahmen auf das Gesundheitssystem als Ganzes wurden im Krisenmanagement weder gesondert nachgehalten (z.B. im Monitoring des Krisenstabs BMI-BMG), noch wurde darauf besondere Rücksicht genommen: z.B. wurde mit den dann konkret ausgeformten Vorschriften in Kauf genommen, dass abgesagte oder verschobene OPs zu Schäden und Todesfällen führen würden und u.a. die Kliniken und Reha-Einrichtungen um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen müssen – mit entsprechenden Konsequenzen für die Versorgungskapazitäten.
In dem Beschluss wird eingeräumt, dass einschneidende Maßnahmen getroffen werden. Es wird erklärt, dass der Grund darin läge, dass sie mit Blick auf das zu schützende Rechtsgut
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der Gesundheit der Bevölkerung verhältnismäßig seien, obwohl eine seriöse Verhältnismäßigkeitsprüfung gar nicht durchgeführt wurde.
Nach den Erkenntnissen der vorliegenden Analyse kann keine belastbare Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt worden sein und auch die Notwendigkeit nicht erwiesen gewesen sein, da nicht einmal eine belastbare Gefahreneinschätzung vorgenommen wurde.
„Bund und Länder werden bei der Umsetzung dieser Einschränkungen sowie der Beurteilung ihrer Wirksamkeit eng zusammenarbeiten. Weitergehende Regelungen aufgrund von regionalen Besonderheiten oder epidemiologischen Lagen in den Ländern oder Landkreisen bleiben möglich. Bund und Länder sind sich darüber im Klaren, dass es sich um sehr einschneidende Maßnahmen handelt. Aber sie sind notwendig und sie sind mit Blick auf das zu schützende Rechtsgut der Gesundheit der Bevölkerung verhältnismäßig.
Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder danken insbesondere den Beschäftigten im Gesundheitssystem, im öffentlichen Dienst und in den Branchen, die das tägliche Leben aufrecht erhalten sowie allen Bürgerinnen und Bürgern für ihr Verantwortungsbewusstsein und ihre Bereitschaft, sich an diese Regeln zu halten, um die Verbreitung des Coronavirus weiter zu verlangsamen.“
Quelle: Protokoll der Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und
Regierungschefs der Länder am 22. März 2020
https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975226/1733246/e6d6ae0e89a7ffea1ebf6f32cf472736/2
020-03-22-mpk-data.pdf?download=1
Die Inhalte des Beschlusses wurden auch in einfacher Sprache verbreitet. Auch darin ist nicht von einer Gefahr die Rede, sondern von einer „sehr ernsten Situation“.
„Das Corona-Virus verbreitet sich sehr schnell in Deutschland.
Das ist eine sehr ernste Situation.
Die Verbreitung vom Corona Virus muss unbedingt gestoppt werden.
Deshalb gibt es Regeln, wie sich die Menschen in Deutschland verhalten müssen. Die Regeln gelten bis zum 19. April.“
Quelle: Bundesregierung im Internet. In einfacher Sprache: https://www.bundesregierung.de/breg-de/leichte-sprache/regeln-zum-corona-virus-vom-22-maerz-2020-1733310
Fazit – auf der Basis der in dieser Analyse gewonnenen Erkenntnisse – :
Die Maßnahmen waren nicht begründet.
Aktuelle und perspektivische Auswirkungen auf den Bereich der Kritischen Infrastrukturen
10.1 IT-Sicherheit
Auswertung der „IT-Sicherheitslage“, Ausgabe April 2020
In die Lageberichte des Krisenstabs sind Themenbereiche aufgenommen worden, die eigentlich nicht zwingend nötig gewesen wären (Extremismus, Internationale Politik). Andere Bereiche, die für die Beurteilung der Gefahrensituation für unsere Gesellschaft essentiell sind, werden weiterhin nicht beachtet. Dazu die IT-Sicherheit, die im BMI ressortiert. Der reguläre Monatsbericht des BSI erschien am 22. April, er macht eindeutige Aussagen zum Coronakontext. Es wird deutliche gemacht, dass die Resilienz im IT-Bereich gesunken ist und der Erfolg von Angriffen immer wahrscheinlicher wurde. Selbst Unternehmen oder Einzelpersonen, die ihre IT-Sicherheit normalerweise gut im Griff haben werden von den neuen Anforderungen an die IT überfordert, vernachlässigen Sicherheitsregeln und gehen zusätzliche Risiken ein. Diese Situation wird von Angreifern gezielt ausgenutzt.
IT-Sicherheitslage, BSI, Ausgabe April 2020, Berichtszeitraum: März 2020, erschienen am 22. April 2020
„Auswirkungen und Vorfälle auf die IT im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie: Die Auswirkungen von SARS-CoV-2 durchdringen mittlerweile alle Lebensbereiche und betreffen damit auch die Informationstechnologien. Die aktuelle Gesamtlage führt dazu, dass auch eine normalerweise gut aufgestellte Organisation sich von einem erfolgreichen Cyber-Angriff mit höherer Wahrscheinlichkeit nur schlecht oder gar nicht mehr erholen kann. Falls ein solcher Angriff auf eine für die Bewältigung der Pandemie wesentliche Organisation gelingt, können die daraus erwachsenden Konsequenzen beispiellose Auswirkungen auf die Bevölkerung und die Wirtschaft haben. Darüber hinaus können die hier ausgeführten und weiteren Kampagnen auch Einzelpersonen in einer besonders angespannten Lage treffen und gravierendere Auswirkungen haben, als bisher üblicherweise beobachtet wurde. Es ist anzunehmen, dass Angreifer auch im nächsten Berichtszeitraum ihre Kampagnen im Kontext von COVID-19 fortsetzen und weiterentwickeln.“ (IT-Sicherheitslage, BSI, Ausgabe April 2020, Berichtszeitraum: März 2020, erschienen am 22. April 2020)
Das BSI diagnostiziert einen Ausnahmenzustand in der Gesellschaft, der Angst und Panik begünstigt.
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Durch die häufig abrupte Verlagerung von Beschäftigten und Geschäftsprozessen ins Home-Office wird in zahlreichen Fällen die IT-Sicherheit zugunsten eines ad hoc funktionierenden Home-Office vernachlässigt
IT-Fachpersonal und IT-Sicherheitsdienstleister sind durch die geltenden Beschränkungen nicht im normalen Umfang oder nur mit erhöhtem Aufwand verfügbar.
Aufgrund der wirtschaftlichen Folgeerscheinungen der Pandemie sind bei vielen Unternehmen die finanziellen und infrastrukturellen Sicherheitsvorkehrungen, um beispielsweise mit einem Cyber-Angriff umzugehen, bereits ausgereizt
Der veränderte Einsatz der IT-Infrastruktur durch eine Verlagerung ins Home-Office erschwert die Unterscheidung von regulärem Nutzerverhalten und Angriffen“ (ebd. Seite 5)
BSI geht davon aus, dass mit den vermehrt aufgekommenen spezifischen Covid-19 Angriffe noch längere Zeit zu rechnen ist.
10.2. Gefährdungen im Bereich der Trinkwasserversorgung
Die Trinkwasserversorger und ihre Verbände werden seit den ersten großen Einschränkungen laufend im BMI vorstellig und bitten um schriftliche Bestätigung, dass sie als KRITIS-Betreiber besonders wichtig sind und daher beim Bezug und der Belieferung von bestimmten Produkten bevorzugt behandelt werden müssten, ihr Personal arbeiten können muss und alle notwendigen Ausnahmengenehmigungen erhält, viele Einschränkungen für sie nicht gelten sollen, usw., weil sie sonst ihre Kritischen Dienstleistungen nicht mehr zuverlässig liefern können – die Versorgung mit dem wichtigsten, was der Mensch zum nackten Überleben braucht, dem Trinkwasser. Der Bund und die Länder waren relativ großzügig mit generellen Bestätigungen der hohen Bedeutung der Absender. Teilweise hat das sogar Rechtsfolgen, die für die jeweiligen Kolleginnen und Kollegen nicht absehbar waren, die die Briefe beantworteten. Denn der Bund hat keine Kompetenzen, eine Priorität rechtsverbindlich und mit Folgewirkung festzustellen. Zuständig sind die Länder.
Der Bund verwies daher überwiegend an die Länder, mit manchen Lobbygruppen wie der Jagd-Lobby ging die Korrespondenz und das Gerangel und Gefeilsche um Sonderrechte auf allerhöchster Ebene munter weiter. Auf jeden Fall wurden und werden immer noch sehr viele freundliche und verständnisvolle Briefe im Namen der Ministers, der Hausleitung oder des Krisenstabs geschrieben, die viele Mitarbeiter des BMI und seiner nachgeordneten Behörden sehr stark beschäftigt und ausgelastet haben. Viele Überstunden mussten gemacht werden, jeder hielt sich und was er macht für wichtig. Die Kollegen sind wichtig, aber das ändert nichts daran, dass zentrale Essentials der Krisenbewältigung vernachlässigt wurden.
Inzwischen schickt der BDEW, einer der großen Verbände der Trinkwasserbranche, seine Lageberichte an den Bundes-Krisenstab (am 7.4. und 16.4.) und denen ist zu entnehmen, dass aufgrund der Unterbrechung von Lieferketten bestimmt Produkte und Materialien künftig nicht oder nur eingeschränkt verfügbar sein werden, die für die störungsfreie Versorgung mit frischem Trinkwasser unverzichtbar sind.
Die Lage bei der Kritischen Infrastruktur Trinkwasserversorgung ist keine Ausnahme. Allen anderen Kritischen Infrastrukturen geht es ähnlich. Wir stehen vor einer Situation, in der einzelne Kritische Dienstleistungen – örtlich oder überregional, kurz-, mittel- oder langfristig, kompensierbar oder nicht kompensierbar – nicht mehr wie gewohnt zur Verfügung stehen werden.
Wie bereits aufgezeigt, sind die Kritischen Infrastrukturen ein Gesamtsystem, dass nur so stark ist, wie jede einzelne Komponente für sich betrachtet. Diese besondere Bedeutung scheinen auf den ersten Blick nur einige herausragende Kritische Produkte zu haben, wenn man diese aufzählen möchte, merkt man allerdings schnell, dass diese Liste noch beim Sprechen immer länger wird, sie enthält z.B. die Stromversorgung, das Internet, Nahrung, Trinkwasser, aber auch Logistik und so manches andere. Es gibt sogar Kritische Infrastrukturen, die als solche bisher gar nicht angesehen wurden und sich erst in dieser Krise als solche erweisen (Funktionsfähigkeit des innerstaatlichen Wirtschafts- und Arbeitslebens z.B.).
Das bedeutet in der Konsequenz, dass durch die Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus nicht nur einzelne punktuelle Lücken eintreten können, sondern die Risiken eines Systemkollapses steigen.
Die beschriebenen Probleme werden nicht nur kurzfristig bestehen. Es ist derzeit nicht absehbar, wann die Lieferketten wieder so reibungslos wie früher funktionieren werden.
Für den Bereich Trinkwasser sieht es so aus:
Die Trinkwasserversorgung in DEU ist sehr vielfältig und sehr heterogen strukturiert. Eine Reihe großer und sehr großer Betreiber in bestimmten Ballungsräumen, aber auch sehr viele kleinere bis kleinste Anbieter. Große Wasserunternehmen verfügen teilweise über ein professionelles eigenes Krisenmanagement, bei kleinen fehlt das völlig.
Regionale und temporäre Engpässe und Lieferausfälle können ersatzweise mit Tankfahrzeugen kompensiert werden, die das Wasser aus anderen Regionen heranfahren. Bei einer flächendeckenden Lage ist das sehr viel schwieriger. Die bundesweiten Gesamtkapazitäten bieten äußerst begrenzten Spielraum. Wenn der erschöpft ist, fehlt das kostbare Gut und muss in Form von Mineralwasser-Trinkflaschen beschafft werden. Wir haben in den letzten Wochen erfahren, was es bedeutet, wenn die Menschen den Eindruck haben, sie müssten besonders begehrte Produkte sofort und in größeren Mengen als üblich kaufen (WC-Papier, …). In deutschen Supermärkten müssten Wasserflaschen rationiert abgegeben werden. Es müssten wirksame Sicherheitsvorkehrung getroffen werden.
Als Rückfallposition könnte man an die sogenannten Notbrunnen nach dem jahrzehntealten Wassersicherstellungsgesetz denken. Dieses ressortiert im BMI, das BBK übernimmt die Durchführung (Fachaufsicht: KM 4). In Kriegszeiten und sogar in zivilen Katastrophenlagen – das ist eine Sonderkonstruktion in diesem Sicherstellungsgesetz (normalerweise ist das strikt getrennt) – soll die Bevölkerung im Notfall mit Trinkwasser versorgt werden. Es gibt in ganz Deutschland etwa 5000 Notbrunnen. Die Qualität des Wassers ist gegenüber der Normalversorgung deutlich reduziert, aber es reicht zum Überleben. Was nicht reicht, ist die Menge an Notbrunnen. Es sind viel zu wenige. Schon die Vorstellung, dass die Berliner Bevölkerung in langen Menschenschlangen anstehen sollte, um aus den zu wenigen und nicht durchgehend funktionsfähigen Handschwengelpumpen, die über das Stadtgebiet verteilt sind, ihr Trinkwasser eigenhändig zu fördern, macht deutlich, dass die Notbrunnen keine Alternative sein werden.
Am 24. April 2020 wurden durch die Abteilung KM unter Mitarbeit des BBK die wöchentlichen Lageberichte des Bundesverbandes Energie und Wasser (BDEW) ausgewertet. Sie zeigen symptomatisch für alle Kritischen Infrastrukturen, dass die Resilienz unserer Gesellschaft gesunken und Verletzlichkeit gestiegen ist. Dieser Befund bestätigt die Bewertung der IT-Sicherheit durch BSI vom 22. April 2020(s.o.). Mit Ausfällen örtlicher Trinkwasserversorgung ist jederzeit zu rechnen. Daran ist ablesbar, das eine Dynamik in Gang gesetzt worden ist, die schwer kalkulierbar ist. Bis heute gibt es kein Monitoring des Status Quos kritischer
Infrastrukturen in DEU. Dieses müsste regelmäßiger Bestandteil eines Lageberichts sein.
Für die Aufgabe Schutz Kritischer Infrastrukturen ergibt sich nunmehr folgende Bewertung:
zeitlicher |
Gegenstand der Gefahr |
Risikopotential für KRITIS |
Beginn |
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(Einschätzung vom 24.04.2020) |
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Ende 2019 |
gesundheitliche Gefahren durch den neuen Coronavirus |
niedrig bis sehr niedrig |
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(Covid-19, SARS-CoV-2) (Gesundheitskrise); u.a. Risiken für |
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die Versorgung mit kritischen Dienstleistungen |
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seit etwa |
multiple Gefahren unterschiedlicher Art, die durch |
hoch bis sehr hoch |
Mitte März |
Maßnahmen, die zum Schutz vor den gesundheitlichen |
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2020 |
Gefahren ergriffen wurden, ausgelöst werden (Wirtschafts- |
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und Gesellschaftskrise); u.a. Risiken für die Versorgung mit |
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kritischen Dienstleistungen |
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11. Was ist zu tun?
mit unmittelbarem KRITIS-Bezug
Gefahrenanalyse und –bewertung: Derzeit liegt keine belastbare Bewertung der Gefahren für unsere Gesellschaft vor – weder für die Gefahren durch den Covid-19 Virus, noch für die Gefahren durch Kollateralschäden aufgrund der ergriffenen Schutzmaßnahmen. Die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen kann ebenso wenig festgestellt werden, wie deren Entbehrlichkeit. Das macht Veränderungen im
Krisenmanagement dringend erforderlich (siehe Punkt 4 „Empfehlungen für den Krisenstab“). Dieser Zustand wirkt sich u.a. auf das Sicherheitsniveau und die Verletzlichkeit von Kritischen Infrastrukturen aus.
Handwerklich-methodisch zum KRITIS-Schutz: Für die Zuteilung von Schutzausrüstung und Sonderrechten wird es dauerhaft eine Priorisierung geben müssen, die deutlich differenzierter ist, als bisher in der Krise praktiziert (fast unterschiedslos). Es muss eine Prioritäten-Hierarchie gebildet werden, die innerhalb von Branchen aber auch zwischen den Branchen Vorrangigkeit und Nachrangigkeit definiert. Der Aufwand alleine dafür ist groß und erfordert qualifiziertes Personal, das im benötigten Umfang nicht zur Verfügung steht. Trotzdem muss sofort an diese Aufgabe herangegangen werden, weil Verteilkonflikte zwischen Kritischen Infrastrukturen, die bereits jetzt ausgetragen werden, in Kürze stark zunehmen werden und der Staat unter Entscheidungsdruck gerät.
Es ist zu empfehlen, das Personal des BBK umgehend zu erhöhen, damit der Bund die Länder und Kommunen bei dieser Aufgabe unterstützen kann – mit Handreichungen und Beratung. Die Länder erwarten vom Bund zumindest eine Koordinierungsfunktion. Diese Aufgabe ist in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen. Wenn die Priorisierung von Strukturen und Prozessen bei den Betreibern Kritischer Infrastrukturen und bei der Aktivierung von Personal und anderen Betriebsmitteln für die Versorgung mit kritischen Dienstleistungen ebenso unprofessionell erfolgen sollte, wie das überforderte Krisenmanagement und die nicht minder überforderten Regierungen in der Coronakrise, so wird uns das zahlreiche zusätzliche – vermeidbare! – Tote kosten.
Empfehlungen für den Krisenstab
x Es müsste kurzfristig eine fundierte Manöverkritik im Krisenstab und den sie berührenden Stellen durchgeführt werden, um die weitere Arbeit zu verbessern.
Eines der größeren Versäumnisse stellt die Zusammensetzung des Krisenstabs dar, der bis heute alleine aus BMI und BMG besteht. Es fehlen alle Ressorts, in deren fachlichen Verantwortungsbereichen sich der Kollateralschaden abspielt. Der Krisenstab sollte künftig den Gefahren entsprechend zusammen gesetzt werden
Die Krise ist nicht vorbei! Ein Krisenmanagement wird auch dann noch dringend gebraucht, wenn die Gefahr der Virusinfektion weitgehend gebannt ist. Die Bestandsaufnahme hinsichtlich der Kollateralschäden und die Organisationen der Reparaturen derselben müssen von einem Krisenmanagement gesteuert werden und die Gefahrenlage muss weiterhin eng kontrolliert werden, nicht zuletzt wegen der enorm erhöhten Verletzlichkeit, die jederzeit eine akute Krise auslösen könnte, z.B. im Bereich der Kritischen Infrastrukturen.
Sofort muss damit begonnen werden, entscheidungsrelevante Datenkategorien zu ermitteln und die zugehörigen Daten zusammenzutragen und auszuwerten.
Für die Einschätzung der gesundheitlichen Gefahren müssten künftig alle verfügbaren Quellen ausgeschöpft werden, um Einseitigkeit und blinde Flecken zu
vermeiden. Die in Anlage 7 (https://swprs.org/covid-19-hinweis-ii/#latest)
zusammengestellten fachlichen Positionen und wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Coronavirus müssten verifiziert werde. Viele legen nahe, dass die Gefährlichkeit des Virus überschätzt wurde. Es müsste geklärt werden, was von den im Umlauf befindlichen Informationen belastbar ist, und was nicht. Es sollte nach jedem brauchbaren Baustein gefahndet werden, der unseren Kenntnisstand verbessern kann.
Lagebilder müssen, um aussagekräftiger zu werden, auf die Übersicht über die zentralen Gefahrenbereiche erweitert werden, die dann in einer Kurz- und einer Langfassung dargestellt werden können. Schon aus dem Lagebild muss ein Vergleich zwischen bezweckten Effekten und ungewollten Kollateralschäden möglich sein.
Das Monitoring der Entwicklung im Bereich der Kritischen Infrastrukturen muss integraler Bestandteil des Berichtswesens (Lagebilder) sein. – Dieser Punkt ist eine
Kernanforderung aus der Perspektive des Schutzes Kritischer Infrastrukturen, die in diesem Bericht zuständigkeitshalber eingenommen wird. Er steht in dieser Aufzählung trotzdem erst (fast) am Ende, weil seine Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit von der Umsetzung der vorgenannten Schritte abhängig ist.
Im Krisenstab muss die Gefahrenanalyse und –bewertung professionalisiert werden. Auswirkungen auf Kritische Infrastrukturen müssen angemessen abgebildet werden. Wie das funktioniert, habe ich in diesem Bericht ausführlich beschrieben (Systematik der Gefahrenbewertung mit Checklisten, etc.). Die Einschätzung, was als Restrisiko vertretbar ist oder nicht, wird eine Gesellschaft nicht alleine unter medizinischen Gesichtspunkten treffen können
mit indirektem KRITIS-Bezug
Beendet werden müssen nicht nur die Maßnahmen, sondern insbesondere die Stimmung, die von öffentlichen Stellen und den Medien bis heute verbreitet wird und als Alarmismus wahrgenommen wird. Dieser Alarmismus muss unverzüglich eingestellt werden. Denn mit einer durch die Maßnahmen der letzten Wochen nicht nur etwas belasteten, sondern schwer traumatisierten Bevölkerung werden wir den zweiten, sehr viel länger andauernden Teil der Krise viel schwerer bewältigen, als den ersten.
Es wird daher nicht damit getan sein, den Alarmismus ab einem Zeitpunkt x zu beenden und Normalität zuzulassen. Man kann Normalität nicht einfach in gleicher Weise wie einschränkende Maßnahmen erlassen und verfügen. Die Ängste, vor allem die überschießenden irrationalen Ängste und die daraus resultierenden veränderten Verhaltensweisen, werden nicht automatisch verschwunden sein, wenn die Maßnahmen gelockert werden. Die in den vergangenen Wochen gemachten Erfahrungen haben sich im Gemüt vieler Menschen festgesetzt und es ist noch nicht absehbar, welche Folgen das haben wird. Wie werden die Kinder und Jugendlichen davon geprägt worden sein. Nicht jede Reaktion auf das Aussetzen der berechenbaren Normalität verläuft vordergründig, stürmisch oder vehement. Mancher wird es in sich hineinfressen, vielleicht krank werden, andere tragen ab jetzt möglicherweise ein tiefes Misstrauen gegenüber Menschen und staatlichen Institutionen in sich. Das meiste wird sich voraussichtlich unbewusst und für die Umwelt kaum erkennbar abspielen – was nicht heißt, dass es minder wirksam sein wird. Was bedeutet das für die Innovationskraft unserer jungen Generation, auf die wir angewiesen sind?
Die schwierigste Aufgabe wird es sein, verlorenes Vertrauen zurück zu erlangen. Vertrauen in einen zuverlässig den Bürger schützenden Staat, der für diese wichtige Leistung legitime Eingriffe und Einschränkungen vornehmen darf. Dieser Staat hat in der Coronakrise in geradezu grotesker Weise versagt. Er muss, wenn er Vertrauen wiedergewinnen will, nicht nur umkehren, sondern offen mit seinen Fehlleistungen umgehen, sie einräumen und aufarbeiten, sonst werden dem Staat und dem politischen System möglicherweise die eingetretenen systemischen Fehler nicht nachgesehen.
Es gibt zwar noch eine Verhaltensalternative, die diente jedoch nicht den Interessen der Bevölkerung und des Gemeinwesens, sondern denen einzelner Personen oder Gruppen: Die Politik könnte versuchen sich zu rechtfertigen, die Administration könnte unterstützend statistische Verfahren verändern, Zahlen umdeuten und versuchen nachzuweisen, dass sie alles auf geniale Weise richtiggemacht hat. In diesem Alternativmodell würde mit der aktivierten hohen Verunsicherung und Angst der Menschen weiter gearbeitet, kritische Stimmen würden einschüchtert und es würde auf die Wirkung sozialen Gruppenanpassungsdruck spekuliert werden. Diese Option birgt
gleichermaßen hohe Risiken für die Gesellschaft, als auch für die Personen, die sich für sie entscheiden.
Jede Krise hat ihre Profitteure, was nicht per se etwas Verkehrtes ist, aber diese Gruppe wird versuchen, ihre Partialinteressen mit geeigneten Mitteln durchzusetzen, vielleicht auch gegen die Interessen der Allgemeinheit. Dem muss entgegen getreten werden.
Die Rückkehr zur Normalität bedeutet auch, alle eingeleiteten längerfristig angelegten Projekte müssten zurückgefahren werden, wenn sie nicht der Rückkehr zur gewohnten Normalität dienen. Sie haben ihren Sinn verloren und blockieren Ressourcen, die jetzt für wichtigeres dringend benötigt werden. Bei jedem Projekt, dass weitergeführt werden sollte, muss man sich bewusstmachen, dass die dafür notwendigen Ressourcen aus dem kleiner gewordenen zivilgesellschaftlichen Kapital beglichen und zuvor erwirtschaftet werden müssen.
Einer der größten Aktivitätsposten geht auf die Intensivierung von digitalen Kommunikations- und Interaktionstechnologien zurück, sei es für Telearbeiter, virtuelle Klassenräume oder neuartige Bürger- und Unternehmens-Services, für die vorübergehend reduzierte Sicherheitsanforderungen galten. Diese Entwicklung beizubehalten bedeutete nicht nur eine starke Veränderung der Alltagskultur, sondern auch eine noch stärkere Abhängigkeit als bisher von Kritischen Infrastrukturen sowie einen graduellen Verlust an Persönlichkeitsschutz (z.B. in Bezug auf personenbezogene Daten, sowie weitere Betrugs, Missbrauchs- und Manipulationsgefahren). Wir würden unsere Zivilgesellschaft in einer Phase niedriger gesellschaftlicher Resilienz noch einmal zusätzlich schwächen. Auch hier wird der Versuch insbesondere der Politik möglicherweise groß sein, Erwartungen von Geschäftspartnern nicht zu enttäuschen. Und auch hier zeigt sich, dass die Zukunft unserer Gesellschaft von dem Gewissen unserer Politiker abhängt, denen wir in einer Demokratie während ihrer Amtszeit eine hohe Autarkie und faktische Macht zubilligen.
Schlussbemerkung
Dieser Bericht ist eine Momentaufnahme und kann natürlich nur einen begrenzten Ausschnitt der Wirklichkeit behandeln. Wichtiger als ihn perfekt zu machen, war, dass er fertig wird. Er enthält daher noch einige Redundanzen und Ungenauigkeiten. Ich hoffe sehr, dass dieser Bericht dennoch einen produktiven Beitrag zum Krisengeschehen leisten kann.
Anlagenband zum „Auswertungsbericht“ vom 7. Mai 2020
Anlage 1
Aufgaben des Referats KM 4 (abgerufen: 17. April 2020):
Quelle: inet Seite für die Organisationseinheit Referat KM 4 (abgerufen am 17.4.2020):
https://inet.intern.bmi/Seiten/referatkm4.aspx
„Referat KM 4, Schutz kritischer Infrastrukturen
AUFGABENBESCHREIBUNG
Das Referat KM 4 befasst sich mit dem Schutz Kritischer Infrastrukturen als einem besonderen Teilgebiet des Bevölkerungsschutzes. Hierbei geht es um den Schutz von Organisationen und
Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden. Gefährdet sind Kritische Infrastrukturen nicht nur durch terroristische Anschläge, sondern auch durch Naturkatastrophen, besonders schwere Unfälle, IT-Angriffe sowie technisches und/oder menschliches Versagen. Da die Mehrzahl der für unsere Gesellschaft als kritisch zu betrachtenden Infrastrukturen im Besitz privater Betreiber ist, arbeiten Staat und Wirtschaft Hand in Hand, um den wirkungsvollen Schutz dieser Anlagen, Einrichtungen und Systeme sicherzustellen.
Referat KM 4 ist im BMI für übergreifende Themen und Anliegen im Zusammenhang mit dem
Schutz Kritischer Infrastrukturen zuständig. Zu seinen Aufgabengebieten gehören insbesondere:
Aufbau eigener Bewertungskompetenz zum Schutz Kritischer Infrastrukturen und daraus entwickelte Initiativen sowie Stellungnahmen in Beteiligungsverfahren
Strategische Grundlagenarbeit zum Schutz von Kritischen Infrastrukturen vor sämtlichen Gefahren
Hinwirken auf die Konsistenz des Schutzes wegen Interdependenzen der verschiedenen Sektoren Kritischer Infrastrukturen miteinander
Federführung für Konzepte und Strategien, wobei die fachlichen Zuständigkeiten der Abteilung CI für den Schutz von Informationsinfrastrukturen und für den Schutz Kritischer Infrastrukturen vor Cyber-Gefährdungen unberührt bleiben
Zusammenarbeit mit anderen Bundesministerien, den Ländern, der EU, den Betreibern Kritischer Infrastrukturen und mit Verbänden sowie mit sonstigen betroffenen Institutionen
Supra- und internationale Angelegenheiten zum Schutz Kritischer Infrastrukturen, insbesondere Point of Contact in der EU-Kontaktgruppe für den Schutz Kritischer Infrastrukturen, die die Fortschreibung und Umsetzung des Europäischen Programms für den Schutz Kritischer Infrastrukturen (EPSKI) einschließlich der Richtlinie 2008/114/EG betreibt
1Referat KM 4 übt die Fachaufsicht über das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) aus, soweit Belange Kritischer Infrastrukturen berührt sind. Das BBK erarbeitet v. a. methodologische Grundlagen, etwa für die Identifizierung Kritischer Infrastrukturen, Risiko- und Gefährdungsanalysen sowie Maßnahmenpläne zum Schutz Kritischer Infrastrukturen unter Berücksichtigung eines All-Gefahren-Ansatzes.
Im Kontext der Zivilen Verteidigung bearbeitet bzw. koordiniert Referat KM 4 die Anpassungen der Sicherstellungs- und Vorsorgegesetze (eigene Federführung bei der Wassersicherstellung), die die Aufrechterhaltung der Grundversorgung der Bevölkerung und der Streitkräfte im Spannung- und Verteidigungsfall bzw. im zivilen Krisenfall zum Gegenstand haben.
Für die Sicherstellung des Schutzes ziviler oder zivil-militärischer Objekte, deren Ausfall die zivile Verteidigungsfähigkeit nachhaltig einschränken würde, bearbeitet Referat KM 4 ressortübergreifend und gemeinsam mit den Ländern die Objekterfassungs- und die Objektschutzrichtlinien.
Referat KM 4 ist darüber hinaus für den Schutz / die Sicherung von kerntechnischen Anlagen, Einrichtungen und Transporten im Hinblick auf mögliche Gefährdungen durch terroristische oder kriminelle Anschläge / sonstige Handlungen zuständig. Die Aufgabenschwerpunkte in diesem Bereich sind Folgende:
Gefährdungsbewertungen bei aktuellen Vorkommnissen, Lagebilder; ggf. Ausrufen von Gefährdungsstufen gemäß Rahmenplänen
Gremienarbeit, v. a. Bund-Länder-Gremien zur Sicherung von kerntechnischen Einrichtungen (KoSikern; AK Sicherung)
Entwicklung von / Mitwirkung bei Rahmenplänen, Sicherungskonzepten, Rechtsnormen (z. B. RENEGADE-Rahmenplan KKW)
Mitwirkung bei EU-und internationalen Initiativen / Projekten (z. B. CBRN)
Referat KM 4 übt in diesem Aufgabenbereich bezüglich der Gefährdungsbewertungen und
Lagebilder die Fachaufsicht über das BKA, Referat ST 54, aus.“
aus der inet - Seite der Abteilung KM:
„Als Teilgebiet des Bevölkerungsschutzes wird der Schutz Kritischer Infrastrukturen im Referat KM 4 bearbeitet. Kennzeichnend sind die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und den Bundesressorts
sowie Koordinierungs- und Steuerungstätigkeiten. Unabhängig hiervon ist KM 4 auch für den Schutz/die Sicherung von kerntechnischen Anlagen, Einrichtungen und Transporten im Hinblick auf mögliche Gefährdungen durch terroristische oder kriminelle Anschläge und sonstige Handlungen zuständig.“ https://inet.intern.bmi/Seiten/abteilungkm.aspx
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